Neustadt Sie sind angekommen

Giorgina Kazungu-Haß ist an diesem Mittwochvormittag „in Kakao-Laune“. Gerade kommt sie aus dem Sitzungssaal der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus in Mainz – ab 14 Uhr steht die erste Plenarsitzung für dieses Jahr an. Doch zwischendrin ist erst mal keine Landespolitik angesagt, sondern ein Gespräch mit einem Kulturredakteur der „Rhein-Zeitung“ Koblenz, der seinerseits in Kaffee-Laune ist. Ihn interessiert, wie es der 39-Jährigen geht, jetzt, wo klar ist, dass die Staatsanwaltschaft Frankenthal kein Ermittlungsverfahren gegen den früheren SWR-Hörfunkmoderator Elmar Hörig einleitet. Gegen ihn hatte sie Strafanzeige wegen des Verdachts der Volksverhetzung und des Verwendens verfassungsfeindlicher Symbole auf seiner öffentlich zugänglichen Facebook-Seite erstattet. Drei Tage die Woche – von Dienstag bis Donnerstag – ist die Haßlocherin in Mainz. Die restlichen Tage verbringt sie im Wahlkreis. „Ich bin angekommen“, sagt sie nach den ersten neun Monaten als SPD-Landtagsabgeordnete. Den Abschiedsschmerz von der Integrierten Gesamtschule Frankenthal hat sie überwunden. Und auch wenn es nicht immer leicht ist, fährt die vierfache Mutter während der Mainzer Tage abends nicht heim. „Was hilft, ist der gute Kontakt vor allem unter den SPD-Abgeordneten.“ Dirk Herber ist am Morgen kurz nach 7 Uhr in den Zug von Neustadt nach Mainz gestiegen – ab Mannheim begleitet von Johannes Zehfuß und Reinhard Oelbermann, CDU-Abgeordnete aus den Wahlkreisen Mutterstadt und Speyer. Das Pfälzer Trio ist gut gelaunt, auch sein Ziel ist zunächst die Fraktionssitzung. „Ich fahre immer nach Hause, außer, es wird zu spät“, sagt der dreifache Vater Herber. Wie am Tag darauf, als das Plenum bis nach 20 Uhr tagt. Doch auch für den CDU-Mann aus Mußbach gilt: Dienstag bis Donnerstag Mainz, ansonsten Wahlkreis. Herber ist froh, dass die Kollegen Oelbermann und Zehfuß gern zu Scherzen aufgelegt sind, ihm aber vor allem mit Rat und Tat zu Seite stehen. „Es ist ein gutes Miteinander innerhalb der Fraktion, mit viel Humor.“ Dass dem nicht so sein könnte, davor hatte der 37-Jährige zu Beginn schon ein wenig Angst. Reden im Parlament: Für beide kein Problem Der Kulturredakteur der „Rhein-Zeitung“ muss mittlerweile erfahren, dass Giorgina Kazungu-Haß schwer zu stoppen ist, wenn sie erst mal losgelegt hat. Zumal dieser Mittwoch für die quirlige SPD-Politikerin mit jeder Menge Juso-Erfahrung auch der Tag eins nach dem Personalwechsel Gabriel/Schulz in der Bundes-SPD ist. Die „leidenschaftliche Wahlkämpferin“ Kazungu-Haß wertet das als gute Nachricht, denn: „Jetzt geht’s los!“ Kultur und Schulen sind ihre Themenschwerpunkte. Wobei sie mit einem kenianischen Vater automatisch einen Bezug zu Migration, Integration, Fremdenfeindlichkeit hat. „Da war ich schon immer qua persona Vermittlerin zwischen den Welten“, schätzt sie ihre Situation ein. In Sachen Hörig ist sie froh, so viele positive Reaktionen bekommen zu haben, auch aus dem Wahlkreis, auch parteiübergreifend. Das wiege den „Shitstorm“ im Internet, zu dem Hörig aufgefordert habe, hundertfach auf. Es sei gut, dass über dessen Verhalten geredet wurde, auch wenn es keine juristische Handhabe dagegen gebe. In ihrem Büro im Abgeordnetenhaus stehen Müsli, Nutella, Tee in der kleinen Küchenzeile, das Klappbett ist ausgefahren. Auf dem Schreibtisch neben viel Papier eine Tasse mit dem Konterfei ihres Kaiserslauterer Kollegen Andreas Rahm. „Großes Selbstbewusstsein“, sagt sie über Rahm mit einem Augenzwinkern. Und stülpt sich zum Spaß die Strickmütze mit Landeswappen auf den Kopf, die ihr Innenminister und SPD-Landeschef Roger Lewentz in der Fraktionssitzung geschenkt hat: „So eine wollte ich unbedingt haben, die ist cool.“ Im Büro von Dirk Herber sieht es ein wenig anders aus. Schließlich übernachtet er hier selten. Zwar ist das Bett auch ausgeklappt, aber übersät mit Unterlagen. Darunter eine RHEINPFALZ-Seite über die wichtigsten Sportereignisse des Jahres. „Information ist alles“, sagt Herber als sport- und jugendpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion. Beide Themen liegen ihm am Herzen, wie natürlich auch die Polizei, zu der er sich in Absprache mit den Kollegen ebenfalls äußern kann. Im Landtag ist es in dieser Woche Kazungu-Haß, die im Plenum zu einem ihrer Themen spricht, doch auch Herber durfte schon – sechs Mal, wie er präzisiert. Die freie Rede bereits als Polizeibeamter und Kommunalpolitiker geübt zu haben, sei da kein Schaden. Unwohl in der Rednerrolle fühlt sich auch die SPD-Kollegin nicht. „Ich bin es ja als Lehrerin gewohnt, frei vor Zuhörern zu sprechen und auch mal Widerspruch zu ernten“, meint Kazungu-Haß. Das sei ein klarer Vorteil. Kleine Grundschulen: Aufregung im Wahlkreis Während beide in Mainz sind, kocht im Wahlkreis ein landespolitisches Thema hoch: die Zukunft kleiner Grundschulen angesichts dessen, dass die rot-grün-gelbe Landesregierung in den nächsten Jahren 310 Lehrerstellen streichen will. Der Lehrerverband VBE ist alarmiert, Gemeinden wie Lindenberg und Esthal sind es ebenfalls. Herber verschickt eine Pressemitteilung, weil er in dem Stellenabbau eine „Beerdigungsrichtlinie“ für kleine Schulen sieht. Kazungu-Haß setzt zunächst auf das, was für sie immer wichtig ist: „Konkret bleiben und eine wertschätzende Kommunikation.“ „Klar, da herrscht im Lambrechter Tal große Aufregung“, das sei nachvollziehbar. Doch müsse man damit richtig umgehen, zunächst die Leitlinien abwarten, informieren und dann jedem die Chance geben, den Prozess zu begleiten. Im Landtag ist es am Mittwoch zunächst bei weitem nicht so prickelnd wie im Wahlkreis Neustadt angesichts der Sorgen um die Grundschulen. Wie viele andere Abgeordnete nutzen Kazungu-Haß und Herber die Zeit jenseits eigener Themen, um sich mit Kollegen abzustimmen, Post zu bearbeiten, Dinge übers Internet zu recherchieren. Dann wird es interessanter, vor allem für die Regierungsparteien: Innenminister Lewentz reagiert scharf auf eine Äußerung des AfD-Fraktionsvorsitzenden Uwe Junge. Zum Sicherheitspaket der Landesregierung hat dieser nachgefragt, wo denn „die Verhaftungswelle“ bleibe. Lewentz bezeichnet ihn daraufhin unter anderem als „Brandstifter“. Aufruhr im Plenum, viele klatschen wie wild, die AfD zieht – kurzzeitig – aus Protest aus, das Medieninteresse ist ihr sicher. Wie weit sich die anderen Fraktionen auf Junge und Co. einlassen sollten, ist eine Frage, die auch Herber und Kazungu-Haß umtreibt. Als Dirk Herber am Donnerstagmorgen vom Bahnhof in den Landtag läuft, sitzt Kazungu-Haß mit der informellen Gruppe „Christen im Parlament“ beim regelmäßigen Frühstückstreff in einer Plenarwoche. Ob dabei auch über die AfD diskutiert wird, ist unbekannt, denn bei diesen parteiübergreifenden Treffen ist Verschwiegenheit Ehrensache. Am Abend zuvor hatte sie noch den Parlamentarischen Abend der Liga der freien Wohlfahrtspflege Rheinland-Pfalz besucht. Gelegenheiten, bei der die Abgeordnete Leute kennenlernt und sich weiter vernetzt. Herber war derweil im Wahlkreis aktiv: als Sitzungsleiter bei der Frauen-Union Haßloch. Ein andermal kann’s umgekehrt sein. Auch das gehört dazu: Gesprächsrunde mit Schülern Der AfD gelingt es am Donnerstagmorgen, den Aufruhr vom Mittwochnachmittag fortzusetzen. Die Debatte über Pressefreiheit sorgt für Emotionen und scharfe Worte. „Sie versucht immer mehr, mit der Sprache, mit ihrer Wortwahl, die Menschen zu spalten“, erzählt später Grünen-Abgeordneter Andreas Hartenfels aus dem Wahlkreis Kusel in einer Schülerrunde: Die Klasse 9b der Peter-Gärtner-Realschule plus aus Böhl-Iggelheim ist in Mainz, hat zuerst die Landtagssitzung besucht, jetzt ist ein Gespräch mit Abgeordneten angesagt. Neben Hartenfels sind Dirk Herber und Johannes Zehfuß dabei, für die SPD ist es Johannes Klomann aus Mainz, für die FDP Steven Wink aus Pirmasens. Die AfD ist nicht vertreten. Alle Fraktionen würden eingeladen, erklärt eine Mitarbeiterin des Landtags. Fünf solcher Runden habe es seit Mai gegeben, einmal sei die AfD gekommen. Als die Neuntklässler im Landtag waren, hatte Herber gerade ganz vorn neben Landtagspräsident Hendrik Hering Platz genommen. Wie Kazungu-Haß sitzt er ansonsten in der hinteren Reihe, weiter vorne sind in der Regel die „alten Hasen“ vertreten. Anderthalb Stunden lang war er einer von zwei Schriftführern, was aber wenig mit Schreiben zu tun hat. Der eine stoppt die Zeit, die den Abgeordneten beim Reden zusteht, was diesmal Herbers Aufgabe war. Der andere führt die Rednerliste. Erst die Schulklasse, dann der Magen Noch ganz frisch ist der Eindruck der Schüler, dass die Abgeordneten vieles andere erledigen, wenn sie im Plenum sitzen – und Stühle frei sind. „Wir fünf sind ja jetzt auch hier bei euch, während drüben die Sitzung läuft, obwohl da eigentlich Anwesenheitspflicht herrscht. Aber das hier gehört auch zu unserer Arbeit“, klärt Herber auf. Bei langen Sitzungen müsse zudem vieles nebenher erledigt werden. „Manchmal ist es aber auch ein Spiel: Beim Redner den Eindruck erwecken, dass keiner zuhört, und ihn damit verunsichern ...“ Beeindruckter sind die Schüler von dem klaren Bekenntnis des Quintetts zu einer den Menschen achtenden Flüchtlingspolitik. Gut die Hälfte der Jugendlichen hat einen unmittelbaren Migrationshintergrund, wie Klassenleiter Markus Jung erläutert. Daher lautet auch eine der vorbereiteten Fragen, wie es die Abgeordneten mit der Flüchtlingspolitik halten. Die künftigen Erstwähler könnten jetzt auch mit nach Hause nehmen, dass die AfD nicht mit ihnen diskutieren wollte, merkt Jung an, bevor er sich für die Ernsthaftigkeit bedankt, die Zehfuß, Herber und ihre Kollegen seiner Klasse entgegenbrachten. Im Landtag hat derweil Kazungu-Haß gesprochen. Jetzt ist Mittagspause. Essen muss eben jeder.

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