Neustadt Mit der natürlichen Autorität des Schlagzeugs

Dichtes Gedränge auf der Bühne: Schlagzeuger Peter Gall mit seinem Quintett beim Neustadter Jazzclub.
Dichtes Gedränge auf der Bühne: Schlagzeuger Peter Gall mit seinem Quintett beim Neustadter Jazzclub.

«Neustadt». Fünf Leute drängten sich am Donnerstag unter der Leitung des sympathischen Bandleaders und Schlagzeugers Peter Gall aus Berlin auf der kuscheligen Jazzbühne im Gewölbekeller des Steinhäuser Hofs. Man fühlte sich ein wenig an den Schlagzeuger Art Blakey erinnert, durch dessen „Jazz-Messengers“ viele damals noch unbekannte Musiker zu Stars wurden.

Doch Gall (Jahrgang 1983) ist jünger. Er wurde vom Vater und seinem älteren Bruder Chris nicht nur mit Jazz infiziert, sondern hat auch ein Faible für die „Beatles“ oder „Radiohead“. Vor rund sieben Jahren absolvierte er an der Manhattan School of Music in New York seinen Master. Auch seine Mitmusiker an diesem Abend sind eher der jungen Generation zuzurechnen, der niederländische Gitarrist Reinier Baas zum Beispiel, den Gall schon aus New York kennt. Am Klavier ein „Doppelprofessor“ und „Neuer Deutscher Jazzpreis“-Gewinner: Rainer Böhm. Er war schon öfter nach Neustadt eingeladen, aber immer kam in letzter Minute etwas dazwischen. Jetzt hat es geklappt. Felix Henkelhausen am Kontrabass ist ein sehr junger, sehr angesagter Bassist, ebenfalls aus Berlin. Ob Zufall oder nicht, Gall sitzt in einer Ecke, mit dem Rücken zur Wand, wie auf einem Kommando-Sitz und steuert von dort das Geschehen mit der natürlichen Autorität des Schlagzeugs. „Von der hohen Bühne kann man über die Stadt schauen“, findet er. Die Musik startet modern, groovend. Vom ersten Ton an herausragend der Berliner Saxophonist Wanja Slawin. Der war erst kürzlich mit dem „Triebwerk Hornung“ da und hat zu Recht wichtige Preise wie den Jazz-Echo gewonnen. In ihm steckt eine unglaubliche Energie, die sich von Stück zu Stück immer weiter steigert bis zum fulminanten Schluss. Peter Gall stellt mit seinen Mannen seine neue CD „Paradox Dreambox“ vor. Der Titel beschreibt einen „Vibe“, in dem prägnante Klangfarben unterschiedliche Assoziationen und vielschichtig interpretierbare Gefühlswelten auslösen können. Gall erzählt darin spannende Geschichten, welche der Zuhörer auch ohne weitere Erklärungen versteht. Das Titelstück in schnellem Bebop-Tempo, die Melodieführung von Saxophon und Gitarre, die man selbst in der ersten Reihe erst allmählich bemerkt und begreift. Da ist die Musik so dicht, dass das Publikum in Eigenerregung gerät. Das ist gewollt: „Die Idee ist, eine Stimmung zu kreieren, der man sich hingibt – um dann passiert etwas ganz Anderes, Unerwartetes.“ Das erste Stück ist eine Adresse und ein Statement: „4 West, 108th Street“, bereits 2010 in New York geschrieben, reflektiert die Jazzstimmung in der Weltstadt. Melodische Passagen alternieren mit Soli, nach Klavier und Kontrabass changiert die Klangästhetik auf der CD ins elektronische, übernehmen Synthesizer-Sounds und Flöten die Hauptrolle, was in Neustadt auch ohne Elektronik und Flöten noch gut funktioniert. Das zweite Stück beschreibt die Stadt Faro in Portugal. Ein wunderschönes Gitarren-Intro, fast zu metallisch verzerrt, was in einer Ballade mit arpeggierenden Läufen mündet, das Klavier unter Rainer Böhm sucht den Weg in die bessere Zukunft. In „A birds first escape“ kann man sich die Geschichte des entflohenen Kanarienvogels buchstäblich vorstellen: Ja, man hört ihn flattern, spürt die Dramatik, welche der Verlust des geliebten Vogels auslösen kann. Wenn Peter Gall sein Solo auf der knochentrockenen Stand Tom trommelt, klingt das wie die Bilder eines Großfeuerwerks, der Pianist zündet Clusterakkorde und entlockt dem „einfachen“ Disk-Klavier völlig neue Klangdimenionen. Mit der Zugabe „Catalyst“ von Böhm wird die aufgebaute Dramatik zum Schluss kraftvoll und dennoch besänftigend wieder abgebaut, garniert mit ein paar perkussiven Überraschungen von Schlagzeug und Gitarre. Ein großes Jazzkonzert!

x