Neustadt „Lange an meiner DDR gehangen“

Sie kam aus dem „Tal der Ahnungslosen“ in Ostsachsen an eine Schule „tief im Westen“, wie es der stellvertretende Schulleiter Thomas Jung ausdrückt. Katharina Weiler ist eine der Lehrkräfte des Hannah-Arendt-Gymnasiums mit ostdeutscher Vita. Bei der Filmnacht, welche die Schule zum Thema 25 Jahre deutsche Einheit und 25 Jahre HAG veranstaltet, berichtet die 1977 in Bautzen geborene Musik- und Lateinlehrerin von ihrer Kindheit in der DDR.

Es war eine Schulzeit nicht nur ohne Westfernseh-Empfang, sondern zum Beispiel auch mit „Manöversamstagen“, an denen die Schüler bei Geländeübungen den Feind suchen und bekämpfen mussten. Das gehörte laut Weiler zur „militärischen Erziehung“. Auch Mathe- und Physiklehrerin Heike Wilk, Jahrgang 1961, sowie Mathe- und Erdkundelehrer Frank Seeber, Jahrgang 1971, erzählen auf dem Podium in der Aula von ihren ganz persönlichen Erfahrungen in und mit dem sozialistischen Staat. Moderiert wird die Zeitzeugenrunde von Thomas Jung und Norbert Fuchs von der Fachschaft Geschichte, der die Filmnacht, bei der bis Mitternacht sechs Spielfilme zum Thema für die Schüler der Klassen 9 bis 13 gezeigt werden, gemeinsam mit Kollegin Sabine Setzer organisiert hat. An die Montagsdemonstrationen in ihrer Heimatstadt Erfurt in Thüringen kann sich Heike Wilk noch sehr gut erinnern. Sie hatte gemeinsam mit ihrem Ehemann 1989 noch kurz vor dem Mauerfall einen Ausreiseantrag gestellt. „Wir wollten raus und frei sein“, sagt sie. Dabei sei es nicht in erster Linie um Materielles gegangen, sondern um Meinungs- und Reisefreiheit. Die Montagsdemos, bei der sich in jeder Woche mehr Ausreisewillige in der Michaeliskirche versammelten, hätten ihr sehr viel Kraft gegeben, berichtet Wilk. Denn sie sei aus dem Schuldienst entlassen worden, nachdem sie den Ausreiseantrag gestellt hatte. Der 9. November 1989, der Tag des Mauerfalls, „war einer der schönsten Tage in meinem Leben“, resümiert sie. Noch immer habe sie Gänsehaut, wenn sie daran denke. Als 18-jähriger Soldat der Nationalen Volksarmee musste Frank Seeber am 9. November 1989 das Stasi-Gebäude in der Normannenstraße in Berlin bewachen. „Wir haben uns gefragt, was machen wir da? Denn ganz Berlin war im Westen“, erinnert er sich. „Ursprünglich wollten die Leute eine andere, eine bessere DDR haben“, erklärt er den Schülern in der vollbesetzten Aula. „Auf einmal hieß es: Wir sind ein Volk.“ Er selbst habe sich das in seinem jugendlichen Alter so nicht gewünscht. Der Arbeiter- und Bauernstaat war schließlich das Land seiner Kindheits- und Jugenderinnerungen: „Ich habe lange Zeit an meiner DDR gehangen“, bekennt er. Denn nicht alles sei schlecht gewesen. Auch das gehört zum Fazit aller drei Zeitzeugen. Zwar verhehlen sie nicht die langen Schlangen vor Geschäften, wenn es mal Hosen, Fliesen oder Südfrüchte zu kaufen gab. Und auch nicht, dass man ohne „Ja zum Staat“ als Pionier und dann als FDJler ausgegrenzt worden sei, keine Chance gehabt habe, Abitur zu machen. Jedoch: Zum Beispiel beim Kinderbetreuungssystem „hat der Osten einen ganz großen Vorsprung“, antwortet Seeber auf die Frage, was er von der DDR gerne in die Wiedervereinigung mitgenommen hätte. „Wir waren zufrieden mit wenig“, sagt Weiler mit Blick auf Schwarz-Weiß-Fernseher und Trabant. „Hey, es kommt nicht auf das beste Handy und die die neuesten Markenklamotten an. Lebensglück und Zufriedenheit sind nicht abhängig von materiellen Dingen.“ Allzu viel Neues über die DDR hätten sie bei der Filmnacht bisher nicht erfahren, erklären die Zwölftklässlerinnen Leonie Penn und Sarah Götz im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Sie kennen das Thema zum Beispiel auch vom Gespräch mit Zeitzeugen aus der Verwandtschaft, wie sie sagen. In ihrem Geschichtsgrundkurs mit zwei Unterrichtsstunden pro Woche stehe allerdings die NS-Zeit im Vordergrund. Deswegen sei es natürlich wichtig, sich mit dem Thema DDR und Wiedervereinigung zu beschäftigen. Die beiden 17-Jährigen wollen sich jetzt „Good Bye Lenin“ anschauen. In dem Film von 2003 lässt der 21-jährige Alex, gespielt von Daniel Brühl, die DDR auf 79 Quadratmetern wiederauferstehen, um die Genesung seiner Mutter nach acht Monaten Koma nicht zu gefährden. Aus dem Fernsehen, wo der Film nach wie vor oft läuft, sei „Good Bye Lenin“ den Schülern wohl kaum bekannt, so die Einschätzung von Konrektor Jung. Smartphone und Internet hätten dem Fernseher bei ihnen den Rang abgelaufen. Und selbst wer das TV-Gerät mal anschalte, schaue sehr selektiv: „ARD gucken wir nicht“ sei eine Antwort, die er oft von den Schülern zu hören bekomme.

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