Neustadt Kommt die vierte Reinigungsstufe?

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Die Technische Universität Kaiserslautern möchte mit der Neustadter Kläranlage ein Experiment machen.

Heidrun Steinmetz ist Professorin an der Technischen Universität (TU) Kaiserslautern. Dort leitet sie das Fachgebiet Ressourceneffiziente Abwasserbehandlung. Am Montag ist sie zu Gast im Werkausschuss. Dieser tagt öffentlich, jeder interessierte Zuhörer ist willkommen. Denn Dieter Klohr, als Beigeordneter für den Eigenbetrieb Stadtentsorgung Neustadt (ESN) zuständig, will möglichst viele einbinden, bevor in einigen Wochen eine Entscheidung getroffen werden muss. Schließlich ist es alles andere als sicher, ob eine Kooperation zwischen ESN und TU, wie sie die Uni vorschlägt, wirklich von Nutzen wäre – oder ein Minusgeschäft und damit schlecht für die Abwassergebühr. Hintergrund ist, dass seit Jahren auf EU-Ebene diskutiert wird, ob per europäischer Wasserrahmenrichtlinie die vierte Reinigungsstufe für Abwasser eingeführt werden soll. Bislang gibt es drei solcher Stufen, die nach und nach entwickelt wurden: mechanisch, biologisch und chemisch. Erst wenn die Abwassermenge, auf die eine Kläranlage ausgelegt ist, diese drei Stufen durchlaufen hat und bestimmte Reinigungswerte erreicht wurden, darf das geklärte Wasser in Vorfluter wie den Speyerbach geleitet werden. Mikroschadstoffe indes werden mit solchen Behandlungsmethoden nicht aus dem Wasser geholt. Deshalb ist eine vierte Reinigungsstufe im Gespräch. Solche Mikroschadstoffe sind Rückstände von beispielsweise Medikamenten, Kosmetika, Haushaltschemikalien, Röntgenkontrastmitteln, Pflanzenschutzmitteln, aber auch Mikroplastik. Bislang ist nicht in Gänze erforscht, ob und wie sie dem Menschen unmittelbar schaden. Zumindest aber ist bekannt, dass sie das Ökosystem gefährden. Hormonelle Substanzen zum Beispiel, die bei Fischen bereits zu geschlechtlichen Veränderungen geführt haben. Unterstützt von der EU, wurde in den vergangenen Jahren getestet, wie eine solche vierte Reinigungsstufe aussehen kann. In Frage kommen demnach Aktivkohlefilter und Ozonierung. Bei dieser wirkt Ozon auf die Mikroschadstoffe ein und zerlegt sie mittels einer chemischen Reaktion in ihre Bestandteile. Aktuell wird im Auftrag der EU europaweit geforscht, wie bereits an der Quelle angesetzt werden kann, sprich: Was muss getan werden, um die Schadstoffeinträge zu senken? Daran ist auch dem Bund und den Ländern gelegen. Beispiel Rheinland-Pfalz: Rund 680 Kläranlagen zählt das Land, bislang verfügt keine über die vierte Reinigungsstufe. Würde sie vorgeschrieben, wäre das eine teure Angelegenheit für das Land, die kommunalen Kläranlagenbetreiber und – da gebührenfinanziert – für die Bürger. Ein Rechenbeispiel hatte im vergangenen Jahr der rheinland-pfälzische Umweltstaatssekretär Thomas Griese gegeben: 155 Millionen Euro müssten investiert werden, um 45 ausgesuchte Klärwerke aufzurüsten. Auch Rheinland-Pfalz unterstützt natürlich Initiativen, um den Schadstoffeintrag zu verringern. Darüber hinaus werden aber auch Forschungsprojekte gefördert, die auf naturnahe Methoden als vierte Reinigungsstufe setzen, Beispiel Pflanzenbeete, die das dreifach gereinigte Abwasser durchläuft, bevor es in den Vorfluter geht, getestet an der Nahe. Auch dabei war die TU Kaiserslautern Partner. Das jüngste Vorhaben hat allerdings einen anderen Ansatz. Das Projekt sieht vor, eine kommunale Kläranlage mit einer vierten Reinigungsstufe auszustatten, die sowohl Ozonierung als auch Aktivkohle umfasst. Dabei soll gleichzeitig überschüssige Energie genutzt und das mittels Wasserelektrolyse gewonnene Gas in den Energiemarkt eingebunden werden. Zwei Jahre würde es nach Einschätzung der TU dauern, um so etwas zu planen, auszuschreiben und zu bauen. Den anschließenden Betrieb der Anlage würde sie drei Jahre wissenschaftlich begleiten. Nach einer ersten Einschätzung des ESN wären Investitionskosten von einigen Millionen Euro notwendig, zu denen das Land Fördermittel in Aussicht gestellt hat. Hinzu kämen erhöhte jährliche Betriebskosten, ebenso müsste weiteres Personal eingestellt werden. Insgesamt könnte das die Schmutzwassergebühr erhöhen. Belastbare Zahlen gibt es allerdings noch nicht. Pro und Kontra hat der Eigenbetrieb im Vorfeld der öffentlichen Ausschusssitzung bereits gegenübergestellt. Die Knackpunkte sind demnach: Bislang ist die vierte Reinigungsstufe nicht gesetzlich vorgeschrieben, zudem gibt es keine belastbaren Aussagen dazu, ob ihre Kosten und der damit verbundene Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Folglich kann die Frage der Wirtschaftlichkeit nicht wirklich beantwortet werden. Andererseits wäre das ohnehin schwierig, wenn es um Werte Umwelt, Lebensqualität und Gesundheit geht. Wie genau eine Kooperation zwischen Neustadt und TU aussehen würde, wie hoch die Kosten wären, welche Stoffe entfernt werden könnten – dazu will Steinmetz am Montag Antworten geben. Und auf weitere mögliche Fragen auch. Info Öffentliche Sitzung des ESN-Werkausschusses, Montag, 30. Januar, 18 Uhr, Ratssaal im Rathaus |ahb

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