Neustadt Geglückte Verjüngungskur

Hassloch. Ohne qualmende Zigarren ging am Freitag und Samstag gar nichts im Hof des Ältesten Hauses in Haßloch. Schließlich sind sie unverzichtbare Requisiten bei „Momo und die grauen Herren“. In der Bearbeitung von Regisseur Armin Jung feierten das „Theater im Hof“ und die „Haßlocher Märchenbühne“ jetzt Premiere mit dem Stück nach Michael Endes Roman. Das Ergebnis ist beachtlich.

Die neue Zusammenarbeit mit dem Theaternachwuchs der Märchenbühne hat nach dem allzu brav inszenierten letztjährigen Sommerstück „Der Brandner Kasper“ nun geradezu ein Feuerwerk der Kreativität entfacht, das viel beklatscht wurde. Die geglückte Verjüngungskur lässt sich nicht nur an der guten Leistung der 19-jährigen Hauptdarstellerin Marlene Mildenberger ablesen. Ihr gelingt es, sich mit einer eigenen, realistischeren Interpretation der Titelfigur Momo gegen das prägende Bild der lockenköpfigen Radost Bokel durchzusetzen, die aus der Verfilmung des Romans von 1986 eher als märchenhafte Figur in Erinnerung blieb. Doch auch die anderen Nachwuchsdarsteller (David Vollweiler, Mila Halavac, Hana Halavac, Kira Dietz, Eva Nickel und Marina Sauerhöfer) fungieren als Aushängeschild für die Qualität der Haßlocher Jugend-Theaterarbeit. Das wird vor allem bei der bravourösen Szene deutlich, in der die Kinder den Sturm auf einem Forschungsschiff spielen und bei der die Jungmimen die rein pantomimische Darstellung des schwankenden Decks kombiniert mit einer komplizierten Textmasse zu meistern haben. Insgesamt glänzt die Inszenierung durch zahlreiche witzige Regieeinfälle, zum Beispiel die rein pantomimische Darstellung einer Autofahrt oder das Überblenden allzu langer epischer Textstellen mit Musik. Die Handlung: In einer Phantasiewelt, die an eine zeitgenössische italienische Kleinstadt erinnert, ist die Gesellschaft der grauen Herren (Jan Rittinger, Vanessa Dietz, Cordelia Kuhn, Lara Peters, Jasmin Drahonovsky, Joachim Knoll, Bastian Stein und Armin Jung selbst als „Chef“) am Werk. Sie versuchen, alle Menschen dazu zu bringen, Zeit zu sparen. In Wahrheit betrügt die „Zeitsparkasse“ die Menschen aber nach Strich und Faden. Denn während diese versuchen, Zeit für später zu sparen, vergessen sie, im Jetzt zu leben. Gigi Fremdenführer (Rafael Jung), Herr Fusi, der Friseur (Joachim Knoll), Nino, der Wirt (Max Annen) und Nicola, der Maurer (Yannic Stein): Sie alle waren lebensfrohe und kreative Menschen aus Fleisch und Blut, bevor sie für äußeren Erfolg, Geld und Macht ihre Seele an die Zeitsparkasse verkauft haben. Nun wird das Leben immer grauer. Nur Beppo Straßenkehrer (Tommy Schmidt) leistet mit seinem schlichten Gemüt bis zuletzt Widerstand – und landet dafür in der Psychiatrie. Als die Welt schon fast den grauen Herren gehört, beschließt der weise Meister Hora (Fiona Jung), der geheimnisvolle „Verwalter der Zeit“, zu handeln. Er hält die Zeit an, wodurch die ganze Welt zum Stillstand kommt, und schickt seine Schildkröte Kassiopeia (Tamara Jesberger) mit Momo in den Kampf gegen die übermächtig erscheinenden grauen Herren. Um den rund 300 Seiten starken Roman auf die Bühne zu bringen, musste die Regie ein Mittel für den schnellen Wechsel der Handlungsorte finden. Die Inszenierung hat das Problem einfach, aber wirkungsvoll gelöst: Das ganze Geschehen findet vor der reduzierten Kulisse eines stilisierten Amphitheaters statt, der neue Handlungsort wird mit wenigen Requisiten und einem schlichten handgeschriebenen Schild angedeutet. Etliche der 20 Akteure stehen gleich in mehreren Rollen auf der Bühne und sichern die solide Ensembleleistung. Die schlichte Alltagskleidung der Stadtbewohner kontrastiert wirkungsvoll mit den grauen Anzügen der Männer von der Zeitsparkasse, deren Auftritte mit qualmenden Zigarren in den grau geschminkten Gesichtern stets von Trockeneisnebel begleitet werden. Großartig die Szenen, in denen die grauen Herren in geballter Macht auftreten und darüber beraten, wie sie am besten die Weltherrschaft an sich reißen können. Und wofür sind nun die Zigarren gut? Das findet man am besten selbst heraus. Es lohnt sich, dieses Stück anzuschauen. Termine Weitere Aufführungen jeweils freitags und samstags, 10. und 11. Juli, 17. und 18. Juli, 24. und 25. Juli, um 20 Uhr im Hof des Ältesten Hauses, Gillergasse 11, in Haßloch. Dauer etwa drei Stunden mit Pause, reine Spieldauer rund 150 Minuten. Karten (12 Euro) bei Bücher Friedrich, Langgasse 101, in Haßloch, Telefon: 06324/ 80790.

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