Neustadt Es wird eifrig diskutiert

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Neustadt. „Gemeinsam mit jungen Geflüchteten Kino erleben und ins Gespräch kommen!“, das ist die Idee der neuen Reihe „Kino verbindet“, die am Montagnachmittag im Neustadter Roxy-Kino mit dem Film „Tschick“ des deutsch-türkischen Regisseurs Fatih Akin ihre Premiere erlebte. Etwa 120 Besucher strömten erwartungsvoll in den Kinosaal, davon ungefähr 80 Migranten. Und, um es vorwegzunehmen, die Jugendlichen beteiligten sich auch rege an der Diskussion um den Film.

Zu Beginn begrüßt der Medienpädagoge Christoph Bautz gemeinsam mit den Übersetzern Ali Moussa (vom Neustadter Theaterprojekt Hoffnung) und dem 33-jährigen Iraner Ali das Publikum. Es wird in vier Sprachen kommuniziert, nämlich in Deutsch, Kurdisch, Arabisch, Dari, später kommt auch noch Englisch hinzu, wobei tatsächlich die meisten der etwa 80 Flüchtlinge eine dieser Sprachen sprechen. Lediglich einige Somalier haben Schwierigkeiten, dem Geschehen zu folgen, da sie nur ein wenig Deutsch können. Die drei Männer begrüßen die Jugendlichen freundlich und steigen gleich ins Gespräch ein: „Was für deutsche Filme und Schauspieler kennt ihr denn so?“, fragt Bautz. „Fack ju Göhte“, „Honig im Kopf“ und Til Schweiger werden spontan genannt. Der Medienpädagoge bittet die Zuschauer, sich zu merken, was ihnen an dem Film auffällt, was sie besonders lustig oder fragwürdig finden. Dann beginnt auch schon „Tschick“, dessen Inhalt man kurz so zusammenfassen kann: Maik und Tschick, zwei 14-jährige Jungen aus Berlin, brechen aus ihrer von Erwachsenen trostlos gestalteten Welt aus und fahren in einem „geborgten“ Lada in die Walachei, um Tschicks Großvater zu besuchen. Zu Recht nannte der „Spiegel“ die Verfilmung von Wolfgang Herrndorfs Jugendroman „das perfekte Roadmovie“, denn der Film ist mitreißend, zeigt große Gefühle und viel Humor. Allerdings greift Akin fast nebenbei auch die schlimmsten Feindbilder islamischer Fundamentalisten oder Rechtsextremer auf, wobei seine liebenswerten Hauptdarsteller die unsinnigen Ängste und den zerstörerischen Hass demaskieren. Tschick selber ist zwar eigentlich Russe, hält sich aber für einen „jüdischen Zigeuner“. Eine Schweineherde trampelt über die Leinwand, Maiks Mutter ist Alkoholikerin, Tschick enthüllt, dass er schwul ist, und schließlich will die Obdachlose Isa Maik verführen. Wer aber seitens der überwiegend muslimischen Jugendlichen negative Kritik an diesem wilden Plädoyer für wahrhaftige Gefühle und Freundschaft erwartet hatte, wird überrascht: Alle Jugendlichen äußern sich positiv. Der Film sei ganz toll, lediglich dass Maik und Tschick einmal Essen wegschleudern, wird kritisiert. Ein etwa 30-jähriger Araber liefert aus dem Stegreif gar eine Analyse: „Es geht hier um die soziale Kälte und um den Ausbruch daraus.“ Ein anderer junger Araber unterstützt ihn. „Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer, und dabei sehen viele Menschen nur das Äußere, interessieren sich aber gar nicht für das Innere. Wie Maik vor der Klasse von seiner Mutter spricht, und keiner nimmt ihn ernst, das war schlimm.“ Christoph Bautz und seine beiden Übersetzer moderieren die Diskussion und schaffen von Anfang an eine lebendige, aber respektvolle Atmosphäre, in der es den Jugendlichen leicht fällt, sich zu äußern. Allerdings ist zu hoffen, dass sich vielleicht das nächste Mal auch mehr der vielen anwesenden jungen Frauen trauen, das Wort zu ergreifen. Und der nächste Film der Reihe „Kino verbindet“, die mindestens bis Ende 2017 laufen soll, wird den Jugendlichen nicht mehr einfach vor die Nase gesetzt. Sie bekamen bereits am Montag die Trailer dreier Filme präsentiert, die Übersetzer erklärten, worum es geht, und dann hatten die jungen Leute die Wahl. Das Ergebnis ist eindeutig: Zwei Drittel entscheiden sich für das kurdische Filmdrama „Bekas“ aus dem Jahr 2012 und damit für einen Film, der ihrer eigenen Lebenswirklichkeit entspricht. „Bekas“ handelt von zwei Kriegswaisen, die versuchen, während der Herrschaft Saddam Husseins aus dem Norden des Iraks nach Amerika zu fliehen. Den aktuellen Science-Fiction-Film „Arrival“ wollten dagegen nur ein Drittel sehen. „Das Wunder von Bern“ landete mit nur einer Stimme abgeschlagen auf Platz 3. „Bekas“ wird am 13. Dezember gezeigt. Auch nach dem Kino stehen geflüchtete und deutsche Jugendliche noch lange in kleinen Gruppen im Foyer des Kinos beieinander und diskutieren – so wie Marlena, Maike und Daniel von der AG Integration des Kurfürst-Ruprecht-Gymnasiums, die schon seit langem ehrenamtlich Flüchtlingsunterkünfte in Neustadt und Umgebung besuchen, dort Hausaufgabenhilfe anbieten und Fragen beantworten.

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