Neustadt „Den Schleier über Reitz lichten“

Der Schriftsteller Leopold Reitz (1889-1972) war in der NS-Zeit SA-Truppführer und Kulturreferent der Stadt Neustadt. Von 1955 f
Der Schriftsteller Leopold Reitz (1889-1972) war in der NS-Zeit SA-Truppführer und Kulturreferent der Stadt Neustadt. Von 1955 fungierte er als erster »Ordensmeister« der Weinbruderschaft der Pfalz – »eine annähernd ideale Folie, an gesellschaftliche Ehreninsignien zu gelangen«, wie der Böbinger Rudi Brenzinger in seiner Broschüre über Reitz schreibt.

«Neustadt/Böbingen.» Die Weinbruderschaft der Pfalz präsentiert sich noch heute mit einem Gedicht ihres Mitbegründers und ersten „Ordensmeisters“ Leopold Reitz auf ihrer Internet-Seite. Und in der bisher einzigen Biografie über den 1972 verstorbenen Heimatdichter (Autor: Weinbruder Gerhard Berzel) ist zu lesen, dass Reitz sich „in seinem Innersten nicht auf politischem Parkett bewegen“ wollte. Rudi Brenzinger, Schulleiter in Pension und Autor einer neuen Broschüre über Reitz, schließt daran die Frage an: „Soll das bedeuten, dass Reitz eigentlich kein Nazi gewesen ist?“

Mit seiner Untersuchung geht es Brenzinger darum, sich dem Mann, der immer noch Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Böbingen und Träger des Bundesverdienstkreuzes ist (diese Ehren erlöschen nicht mit dem Tod), kritisch zu nähern. Auch Brenzinger ist Böbinger, das Interesse an Reitz sei in ihm geweckt worden, weil Reitz einerseits als „großer Sohn“ des Dorfes gelte, andererseits auch immer wieder zu hören sei, er sei ein Nazi gewesen ¬- „aber kein schlimmer“. Dabei war der Heimatdichter in der NS-Zeit SA-Truppführer und Kulturreferent der Stadt Neustadt. Nach Recherchen im Stadtarchiv Neustadt und im Landesarchiv Speyer beschreibt Brenzinger in seiner Broschüre auf 18 Seiten Reitz’ Rolle in der NS-Zeit und die wichtigsten Stationen seines späteren Lebens. Und stellt dem immer wieder die Darstellung des Biografen und Neustadter Heimatforschers Berzel gegenüber. Ein Beispiel: die Mitgliedschaft Reitz’ im „Stahlhelm“ und später in der SA. Bei Berzel klinge das, als sei Reitz durch die Eingliederung des „Stahlhelms“ in die SA „quasi zwangsrekrutiert“ worden, schreibt Brenzinger. Kein Wort darüber, dass der 1918 gegründete „Stahlhelm“ eine eindeutig antidemokratische Organisation war, die die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mit großer Begeisterung aufnahm. Brenzinger sieht den Weg vom „Stahlhelm“ zur SA als bewussten, gewollten Schritt an. Zumal Reitz in der SA die durchaus herausgehoben Position eines „Truppführers“ inne hatte. Weiter erinnert Brenzinger daran, dass Reitz bei der Gleichschaltung des „Literarischen Vereins der Pfalz“, dessen Vorsitzender er bis 1933 gewesen war, ankündigte, sich „den neuen Kräften restlos zur Mitarbeit zur Verfügung“ zu stellen. Auch ein Beitrag in der „Pfälzischen Bürgerzeitung“ weise darauf hin, dass er die nationalsozialistische Kulturideologie teilte. Reitz beschrieb darin die Entwicklung im Theater mit folgenden Worten: „Das Brausen eines gewaltigen Windes hat die verrotteten Kulissen der aus allem Möglichen Fremden zusammengemogelten Bastardstücke fortgefegt.“ Brenzinger hat außerdem herausgefunden, dass Reitz 1942 im besetzten Polen im Auftrag des „Volksbundes für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) unterwegs war. Es ging darum, die „kulturellen Bande“ mit den „Volksdeutschen“, die nach der Vertreibung der Polen in deren Häuser angesiedelt wurden, zu festigen. Reitz’ eigenem Bericht zufolge war dabei auch der „Bellemer Heiner“ mit von der Partie (auch dieser später ein Weinbruder). Dass all diese Aktivitäten für Reitz kein Hindernis waren, um im gesellschaftlichen Leben nach 1945 zu reüssieren, führt Brenzinger nicht zuletzt auf die Weinbruderschaft zurück, die 1954 aus den „Landsknechten der Weinstraße“ und dem Pressestammtisch Daniel Meiningers hervorging. „Eine annähernd ideale Folie, an gesellschaftliche Ehreninsignien zu gelangen“, schreibt Brenzinger. Zu den Mitgliedern der Weinbruderschaft gehörte übrigens schon Ende der 50er Jahre auch der frühere „Kulturgauwart“ und Landesleiter des VDA, Kurt Kölsch. Reitz, der 1949 als Lehrer wieder angestellt wurde und 1954 in Ruhestand ging, erhielt in der Nachkriegszeit in der Tat zahlreiche Ehrungen, hauptsächlich für seine Verdienste um die Weinkultur. Gescheitert ist die Weinbruderschaft mit ihrem Wunsch, ihn auch zum Ehrenbürger Neustadts krönen zu lassen. Dafür setzte Neustadts Oberbürgermeister Wolfgang Brix (CDU) sich dafür ein, dass er den Deutschen Weinkulturpreis 1969 erhielt. „Das war der Deal“, schreibt Brenzinger. Lesezeichen Rudi Brenzinger: Leopold Reitz. Vom Nazi-Funktionär zum Ehrenbürger und Träger des Bundesverdienstkreuzes. Die Broschüre ist im Eigenverlag erschienen und beim Autor unter 06327/1552 zu erhalten.

Große Pfalzweinprobe der Weinbruderschaft im Jahr 1968 im Neustadter Saalbau mit Leopold Reitz als Redner.
Große Pfalzweinprobe der Weinbruderschaft im Jahr 1968 im Neustadter Saalbau mit Leopold Reitz als Redner.
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