Neustadt Das Paradies muss man verdienen

Neustadt. Liebe und Hass, Freude und Leid, Zärtlichkeit und zerstörerische Leidenschaft, aber auch eisige Gefühlskälte und abgrundtiefe Rohheit – das sind die emotionalen Pole, die John Steinbeck in seinem großen Roman „Jenseits von Eden“ am Beispiel dreier Generationen der Familie Trusk umspannt. Rund 700 Seiten braucht es dazu im Buch. Die Theaterfassung von Ulrike Syha, die am Dienstag in einer Inszenierung der Konzertdirektion Landgraf im Saalbau zu sehen war, hat dagegen nur etwas mehr als zwei Stunden Zeit. Kann das klappen?

Die Antwort darauf ist nicht leicht: Wenn man zur Auffassung gelangt, dass es überhaupt sinnvoll ist, ein so monumentales Stück Weltliteratur in eine Theaterfassung zu pressen, dann kann man sagen, dass die von Syha 2011 für das Theater Basel entwickelte Lösung in der Tradition des epischen Theaters keine ganz schlechte Wahl darstellt. Man begegnet also an diesem Abend vielen der berühmten „Verfremdungseffekte“, die schon Bertolt Brecht einsetzte, um seinen Stücken den Illusionismus auszutreiben: Personen, die immer wieder als Erzähler aus der Handlung heraustreten, Darstellern, die durch bewusst unterkühltes Spiel oder Slapstick ihre Distanz zur Rolle ausdrücken, raschen Szenenwechsel, abrupten Zeitsprüngen und verschiedenen parallel zueinander ablaufenden Handlungssträngen. Auch Songs gibt es, quasi als eingestreute Kommentare, auch wenn sie nur vom Band kommen. Und für die offene Form steht nicht zuletzt die auf zwei Ebenen angelegte Bühne, die das Farmhaus, das Symbol des amerikanischen Siedlermythos, quasi auf Stelzen in die Prärie stellt. Den narrativen Kern all dessen bilden zwei ungleiche Brüderpaare: Charles und Adam Trusk in Connecticut, die um die Liebe ihres Vaters Cyrus, eines sturen Kommisskopfs, buhlen, Jahre später dann Adams Söhne, Aron und Caleb, im Salinas-Tal in Kalifornien. Dort will Adam für seine Familie einen „neuen Garten Eden“ schaffen, wird aber schon kurz nach der Geburt der Zwillinge von seiner Frau Cathy verlassen, die im Nachbarort zur Bordellbesitzerin aufsteigt. Caleb, der unter der Ablehnung des Vaters leidet, weiß von ihrer Existenz, der zartbesaitete Aron nicht. Als ihn der verbitterte Bruder mit der Realität konfrontiert, zerbricht er, meldet sich freiwillig zum Militärdienst und fällt im Ersten Weltkrieg. Steinbecks Roman zelebriert diese moderne Variante des biblischen Kain- und Abel-Stoffs mit archaischer Wucht, die beim Lesen einen ungemeinen Sog entwickelt, nicht zuletzt weil es hier ja um die ganz großen Themen geht: den Traum vom Glück, den die einen verwirklichen können und die anderen nicht, und um die Frage, warum sich Menschen für das Gute oder für das Böse entscheiden. Dies kann die Theaterfassung nicht leisten. Sie lässt das Geschehen wie im Zeitraffer ablaufen und wirkt so eher wie ein Bilderbogen. Was sich im Roman über viele Seiten aufbaut, wird hier auf der Bühne in hektisch aneinander gereihte Kurz- und Kürzestszenen aufgelöst und erinnert im Ganzen ein wenig an die Zusammenfassungen im „Kindler“, die lesefaule Literaturwissenschaftsstudenten früher so gerne benutzten, wenn es vor dem Seminar nicht mehr zur eigenen Lektüre gereicht hatte. So kommt es, dass einen das Bühnengeschehen beim Betrachten merkwürdig kalt lässt, man manchmal das Gefühl hat, es mit Automaten zu tun zu haben, die hölzern ihr Pensum abspulen. Ein gewisser Schematismus in der Personenzeichnung ist zwar auch schon im Roman angelegt – er erklärt sich aus dem biblischen Gleichnis, das alles überlagert, und wird schon darin deutlich, dass alle gewalttätigen Charaktere konsequent Vornamen mit C am Anfang tragen, die Schwachen solche mit A. Eine psychologisierende Deutung verbot sich für Syhas Theaterfassung also von selbst. Das bedeutet aber nicht, dass man deshalb gleich ganz auf Plausibilität verzichtet und die Charaktere gleichsam „entkernt“. Vielleicht hätte auch die Konzentration auf den letzten Teil des Buchs, wie Elia Kazan es in seiner großartigen Verfilmung einst vorgemacht hat, etwas geholfen. Denn was für ein Potential der Stoff hat, zeigte sich in den wenigen Momenten, in denen sich die Landgraf-Inszenierung etwas mehr Zeit nimmt, die Konflikte wirklich offenzulegen. In der Aussprache zwischen Adam (Carsten Klemm) und Caleb (Helge Gutbrod) etwa. So aber sorgt die fehlende Nähe dafür, dass auch keine Tiefe entstehen kann. Und die dämonische Faszination einer Gestalt wie der des „Monsters“ Cathy, die von Iris Boss als blasiert dreinblickendes Püppchen interpretiert wird, bleibt völlig auf der Strecke. Das Neustadter Publikum würdigte die Anstrengungen des achtköpfigen Ensembles trotzdem zu Recht mit langem Schlussbeifall, wobei Jochen Horst als Adams weiser chinesischer Diener Lee und Benjamin Kernen, als Samuel Hamilton das positive Gegenbild zu Adam Trusk, mit besonders viel Applaus bedacht wurden.

x