Neustadt Auf Klischee komm’ raus

Neustadt. Sind die Deutschen tatsächlich so? Oder zumindest ein wenig? Der Spiegel, den Jens Neutag seinen Landsleuten am Samstagabend beim Neustadter Kleinkunstverein „Reblaus“ vorhielt, zeigte kein strahlendes Bild. Vielmehr eines von Nörglern, Pessimisten, Linientreuen und Kehrwocheneinhaltern. Anarchie? Ein Fremdwort.

„Das Deutschland-Syndrom“ heißt Neutags Programm. Er hat sich die Mühe gemacht, den Deutschen an sich genau unter die Lupe zu nehmen. Den Einstieg macht er mit den Pegida-Demonstrationen. Da gingen 25.000 in Dresden auf die Straßen gegen die Islamisierung des Abendlandes: „Wie selbstbewusst sind die eigentlich zu glauben, Sachsen gehöre zum Abendland?“ Gut, die Zahl ist schon lange nicht mehr aktuell, und das Pauschalurteil über die Teilnehmer wenig differenziert. Aber so passt es besser ins Gesamtbild. Von Dresden springt Neutag nach Berlin. Dort ist Wowi zurückgetreten – leider 13 Jahre zu spät. Da er mit erst 61 Jahren noch nicht in Rente gehen kann, sieht ihn Neutag als Maskottchen von Hertha BSC, als Problembär im Zoo und schließlich als Exponat in den „Körperwelten“. Nein, vor mitunter arg drastischen Vergleichen scheut der Kabarettist nicht zurück. Naserümpfen oder pikiertes Weggucken nimmt er in Kauf. Im Gegensatz zu Wowi trete die über allem thronende Miss Mutti nicht zurück, bedauert Neutag. Sie lasse vielmehr zurücktreten. Doch, so fragt er, wer könnte ihr auch nachfolgen? Von der Leyen? Geißler? Bouffier, der als Gebrauchtwagenhändler viel zu unseriös wäre? Aber gut, der Deutsche finde eh alles „sch…“, kaufe bei der Billigmarke Primark, esse bei Burger King und wähle Merkel. Was ihn aufrege, sei nur „Wetten dass…?“, als gäbe es keinen Ausschaltknopf. Früher, meint der Mimikkünstler, da hätten Politiker noch die Welt verändern wollen. Und in der Rolle eines linken Recken, der in den Hochzeiten von Willy Brandt aktiv war, schildert er, unterbrochen von ekligen asthmatischen Anfällen, herrührend vom übermäßigen Zigarettenkonsum, die großen Hoffnungen, die alle mit dem damaligen Kanzler verbanden. Aber was sei aus der SPD geworden? Steigbügelhalter von Merkel, und statt Arbeiterlieder singe die Generalsekretärin „Pippi Langstrumpf“. Von Brandt bleibe ein nach ihm benannter Wendehammer in Haßloch. Später wird der gelernte Schauspieler als Che Guevara auflisten, was in deutschen Landen alles schief läuft: die auseinanderklaffende Arm-Reich-Schere, die Staatsschulden, für die nur der kleine Mann aufkommen müsse, oder die Einflussnahme der Lobbyisten. Aus seiner Lethargie wache der Deutsche lediglich auf, wenn er sich vor den Feiertagen in die Supermärkte oder Outlet-Center aufmache. Auf der Jagd nach Schnäppchen – „ab 5.45 Uhr wird zurückgeschoppt“ - kenne er kein Pardon, walze nieder, was im Wege steht. Da störe nicht einmal, dass der Einzelne weniger Platz habe als eine Lege-Henne. Jens Neutag teil aus. Und er greift auch gern in die Fäkalsprachen-Kiste, scheut vor Schimpf- und Unwörtern nicht zurück. Und natürlich lässt er kein Klischee aus: der Deutsche als Heimwerker, der jede Schraube persönlich kennt, Diätwahn oder die Joggingkultur, der er in engen Klamotten und mit Ohrstöpseln frönt - am Gürtel literweise isotonische Elektrolytgetränke. Und der Deutsche müsse alles mit sich herumschleppen, schaffe es nicht einmal mehr von der heimischen Küche bis zum Arbeitsplatz ohne „Coffee to go“ in der Hand. Als Ursache allen Übels macht Neutag die Kanzlerin aus. Mit ihrer Raute versetze sie die Bevölkerung in eine kollektive Hypnose. Bleibe nur zu hoffen, dass das „Deutschland-Syndrom“ nicht ansteckend sei und auf andere Länder überschwappe. Mit einem Appell, wenigstens einmal den Müll am falschen Tag vor die Tür zu stellen, verabschiedet sich der Deutschland-Kritiker.

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