Neustadt Als die Tuchmacher ins Tal einwanderten

Um „Wallonen und Hugenotten in der Pfalz“ geht es bei einem Vortrag des Historikers Christian Decker am 12. November in der Pfalzakademie in Lambrecht. Gerade in Lambrecht ist dieses Thema von Bedeutung: Einwanderer aus Wallonien haben ab dem 16. Jahrhundert die Entwicklung des Ortes entscheidend geprägt. Die RHEINPFALZ sprach mit Decker über diesen speziellen Aspekt der Lambrechter Geschichte.

Herr Decker, Sie sprechen als Historiker in der Pfalzakademie über die Wallonen, die im 16. Jahrhundert aus dem heutigen Belgien, damals spanische Niederlande, geflüchtet und in die Pfalz eingewandert sind. Das kennt ein Lambrechter zumindest aus einer dramatischen Szene im Geißbock-Festspiel. Aber was hat das mit dem Lambrecht von heute zu tun? Welche Spuren findet man noch?

Es gibt Familiennamen, die wallonischen Ursprungs sind. Manchen sieht man das nicht mehr an, weil sie eingedeutscht worden sind. So geht der Name Marx der späteren Tuchfabrik auf den wallonischen Familiennamen Remacle zurück. Dann gibt es die Wallonenstraße und das Zunfthaus aus dem frühen 17. Jahrhundert sowie ein ehemaliges wallonisches Schulhaus in der Marktstraße. Die Wallonen kamen 1568 nach Lambrecht. Um es einmal mit der heutigen Einwanderungsdiskussion zu vergleichen: Haben Sie sich gut integriert? Oder war es eine Parallelgesellschaft? Es gab schon Konflikte. Die Wallonen hatten ihre eigene Kultur, ihre französische Sprache und ihre Religion. Und sie bedeuteten auch eine wirtschaftliche Konkurrenz. Die Wallonen hatten zunächst auch eine eigene Gemeindeverfassung, einen eigenen Schultheiß und eine eigene Rechtsprechung. Dennoch kann man es mit dem heutigen Begriff der Parallelgesellschaft nicht vergleichen. Schließlich gab es im 16. Jahrhundert noch nicht den Nationalstaatsgedanken, der sich erst im 19. Jahrhundert herausbildete. Es gab in diesem Sinne auch keine Mehrheitskultur. Die Wallonen haben ihre Kenntnisse als Tuchmacher mitgebracht. Habe sie nicht dafür gesorgt, dass Lambrecht damals wirtschaftlich aufblühte? Und dass Lambrecht später, bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts zu einem wichtigen Standort der Tuchindustrie geworden ist? Sie haben sicher Impulse gegeben. Sie sind 1568 gekommen, und um 1600 gab es bereits fünf Walkmühlen in Lambrecht. Die Wallonen haben ihr damals überlegenes Know-how in der Tuchherstellung mitgebracht. Aber es war keine nahtlose Erfolgsgeschichte bis zur späteren Tuchindustrie. In den folgenden Jahrhunderten hat sich einiges ereignet. Es gab den Dreißigjährigen Krieg und den Pfälzischen Erbfolgekrieg. Später wurden aus den Manufakturen, der Arbeit unter einem Dach, Fabriken. 1818 arbeiteten 250 Menschen im Textilbereich, 1912 waren es 800. Und die Lage im Tal, am Speyerbach, die zu Zeiten der Manufakturen noch ein Standortvorteil war, ist für die Industrie später ein Standortnachteil geworden. Hatten die damaligen Herrscher wie Pfalzgraf Johann Casimir ein Interessen, die Wallonen anzusiedeln? Es gab wirtschaftliche Interessen, klar. Neben dem ökonomischen Programm spielte aber auch Solidarität unter Calvinisten eine Rolle. Damals galt die Regel, je mehr Menschen in einem Land lebten, umso reicher war das Land. Den Wallonen wurden neben freier Religionsausübung auch Privilegien gewährt. Dazu gehörten die befristete Befreiung von Abgaben sowie Zollfreiheit. Wo kann man sich heute über die Geschichte der wallonischen Tradition in Lambrecht informieren? Die meisten Abhandlungen darüber sind schon älteren Datums. Zum Beispiel „Die Entstehung der Lambrechter Wallonengemeinde“ von Ernst Collofong aus dem Jahr 1972. Man wird natürlich auch fündig in der Fachbibliothek des Instituts für pfälzische Geschichte und Volkskunde und im Landesarchiv Speyer. Und wer in der rheinland-pfälzischen Bibliographie, im Internet unter www.rlb.de die Suchbegriffe Lambrecht und Wallonen eingibt, bekommt immerhin 15 Treffer.

x