Neustadt Tanzdrama von sinnlicher Wucht

Die erste Begegnung, aus der sich alles entwickelt: Julia (Irina Ganea Mihaiu) tanzt auf dem Fest der Capulets mit Romeo (Adrian
Die erste Begegnung, aus der sich alles entwickelt: Julia (Irina Ganea Mihaiu) tanzt auf dem Fest der Capulets mit Romeo (Adrian Mihaiu), und es ist Liebe auf den ersten Blick.

«Neustadt». Mit einem der wohl berühmtesten Handlungsballette überhaupt, „Romeo und Julia“ von Sergeij Prokofjew, empfahl sich das rumänische Staatsballett „Fantasio“ bei seinem Auftritt in der städtischen Abo-Reihe am Dienstag in Saalbau aufs Vorzüglichste. Für sein hochkarätiges, opulent bebildertes, tempo- und facettenreiches Spektakel erntete die Companie um Horatiu Chereches geradezu frenetischen Beifall.

Das eng an Shakespeares Dramenvorlage entlang geschmiedete Libretto der Autorengemeinschaft Pitrowski, Radlow und Assafjew mit der Musik des russischen Komponisten Sergej Prokofjew, uraufgeführt im Dezember 1938 in Brünn, eroberte die Ballettbühnen – man könnte sagen – zurück, zu einer Zeit, als die führende Avantgarde, vor allem Westeuropas, dem klassischen Handlungsballett mit der neuen Form, dem purem Ausdrucktanz, längst den Bühnenkampf angesagt hatte. Da ist zum einen der Plot – die tragische Geschichte des wohl berühmtesten Liebespaares der Welt, Romeo und Julia, gleichzeitig eine Parabel auf den kleinen Krieg im unmittelbaren Milieu, auf das männliche, dominante „Auge um Auge“, dem sich nicht einmal der liebende Romeo zu entziehen vermag. Der Ausgang ist bekannt, das vorausgehende Szenario aufreibender Krimi mit am Ende fünf Toten und einer Achterbahnfahrt zwischen Gewalt, Intrige und reinster, schönster Liebeslyrik. Zweiter Erfolgsgarant: die fantastische, sich vielfarbig instrumentierte und mit satter Ohrwurm-Melodik ins Ohr schmeichelnde Musik Prokofjews; mit ihrer kraftvollen, prallen Dynamik, etwa der Ballszenen am Veroneser Hof der Capulets; dazu tanzseligem Schwung, zart lyrischer Empfindung und dramatischem Kolorit bis an die Grenzen physisch schmerzender Atonalität. Es ist wie in einer guten Filmmusik: Die Partitur muss die szenische Handlung nicht nur illustrieren, sondern hinterfragen, die Gefühlsmuster dahinter offenlegen, den Schauer transportieren. Im Saalbau gab es eine musikalisch brillante, technisch leider nicht durchgängig befriedigende Einspielung vom Band. Die szenische Umsetzung indes sprengte optisch wie qualitativ alle Erwartungen (Ausstattung: Natalia Komilova). In einer mit viel Aufwand an Textil und Requisite bestückten Kulisse, die sich leicht zwischen Markttreiben und klösterlichem Kircheninnerem verwandeln ließ und in der weder das baldachin-umwölkte Brautbett noch Ballsaaltreppe und Julias Balkon fehlten, tummelte sich die rund 30 Akteure in einer wahren Prachtausstattung an historischer Kostümsinnlichkeit. Optische Völlerei sozusagen, dabei trotzdem seriös und geschmackvoll im Kontext der Renaissance verortet. In der Choreographie von Horatiu Chereches, der auch den Romeo-Freund Tybald tanzte, prunkte die zur rumänischen Staatsoper Constantia gehörige Companie mit einem Non-Stopp an vibrierender Bühnenpräsenz. Eine temperamentgeladene, ideenreiche, zwischen Akrobatik, klassisch-eleganten Schrittmustern und faszinierender Bewegungsektase changierende Performance in den Ball- und Gefechtsszenen etwa. Auch war die Balance zwischen purer Tanzbewegung und pantomimischer Geste – unverzichtbar angesichts des sehr dichtgewobenen, komplizierten Handlungsgeflechts – wohlaustariert. Kleine Nebenschauplätze setzten zusätzlich spielerische Farbtupfer. Aktionsfreude und Tempo der durchweg in vorzüglicher Disziplin abgespulten Massenszenen wurde auf ganz eindrückliche, um nichts weniger berührende Weise durch die intimen, die lyrischen Momente der Soli und Pas de Deux konterkariert. Primaballerina Irina Ganea Mihaiu als Julia und Adrian Mihaiu als Romeo faszinierten mit Anmut, Eleganz und blendender Bewegungsfülle, blätterten verschwenderisch im reichen Katalog der Pirouetten, Hebe-, Sprung, und Verschmelzungsfiguren. Die Szene der Hochzeitsnacht, aber auch der Liebestod in der mystisch ausgeleuchteten Gruft zählten mit zu den hinreißendsten Momenten. Prächtig getanzt waren auch die Soli von Daia Kashiwaba (Mercutio), Keita Kamijo (Benvolio) und Bogdan Birsanesco (Paris), mit Sonderapplaus wurden die wirbelnden Kaskaden des fabelhaften Harlekin Keito Shimomura belohnt. Fazit: eine Sternstunde für Ballettfans, dieser Abend.

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