Neustadt Gespielte Gefühle

Heile bürgerliche Welt: Alexandra Kamp und Ronald Spiess stellen den Song „Feel It Still“ dar.
Heile bürgerliche Welt: Alexandra Kamp und Ronald Spiess stellen den Song »Feel It Still« dar.

«Deidesheim.» Es bedarf nicht unbedingt eines großen Aufwands, um das Publikum in einem Haus, das sonst dem „Boulevardtheater Deidesheim“ als Bühne dient, einen ganzen Abend lang mit leichter Kost zu unterhalten. Das zeigte sich bei der am Freitag vom Radiosender SWR 3 auf die Beine gestellten Veranstaltung „Live Lyrix“ in der Deidesheimer Stadthalle.

Die Idee, die hinter den „SWR Live Lyrix“ steckt, ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Ein musikerfahrener Moderator (Ben Streubel) und zwei gelernte Schauspieler, in diesem Fall Alexandra Kamp und Ronald Spiess, nehmen sich oft gehörte Hits aus den Charts vor, übersetzen deren Texte ins Deutsche und stellen die Inhalte anhand kleiner Spielszenen vor. Rund 400 Besucher wollten das sehen und ließen sich von der guten Stimmung anstecken. SWR-Mann Streubel gewann die Sympathie der Zuschauer, indem er vorgab, mit der gleichen Neugier auf das Kommende gespannt zu sein wie sie selbst. „Trauer, Verzweiflung, Liebe, Glück und Emotionen sind die Zutaten, aus denen Geschichten entstehen“, sagte er, „lassen wir nun unsere Lieblingssongs solche Geschichten erzählen.“ Die erste kam von der Gruppe „Portugal. The Man“, hieß „Feel It Still“ und konnte kaum besser zu den SWR 3-Hörern passen, die sich dem Anlass entsprechend gestylt und auf den Weg zu den „Live Lyrix“ gemacht hatten. In dem Song dreht es sich um Menschen, die in jungen Jahren die Welt verändern und ihre Philosophien ausleben wollten, inzwischen aber bürgerlich angepasst und dem täglich Alltagsstress unterworfen sind. Doch manchmal taucht es urplötzlich wieder auf, dieses Gefühl von damals, und dann können sie es auch tatsächlich immer noch in sich spüren. Alexandra Kamp und Ronald Spiess stellten dazu ein Ehepaar mit Kind und Hund dar, das – in einem mit einfachsten Mitteln auf der Bühne aufgebauten Wohnzimmer – beim Putzen und Babysitten diskutiert: Sollen sie zu den früheren Feinden, dem Establishment, überlaufen oder doch besser warten, bis die Mauern um sie herum von alleine zusammenfallen? Ein gelungener Auftakt der Veranstaltung, der sicher bei vielen im Saal Fragen zum eigenen Dasein aufwarf und gleichzeitig die Erkenntnis vermittelte, dass man sich bei einem Popsong nicht immer durch eine fröhliche Melodie von der eigentlichen Aussage ablenken lassen darf. Über das Stück „Barbies“ von Pink, in dem sich die Sängerin ihre Kindheit zurückwünscht, um den oft schwierigen Anforderungen des Lebens an Erwachsene zu entgehen, ging es nahtlos über zu „Amazing“ von „Aerosmith“. In der Ballade verarbeitet der Frontmann der amerikanischen Erfolgscombo, Steven Tyler, seine Lebenserfahrungen, die sich mit den Worten „Irrsinn“, „Erkenntnis“ und „Weisheit“ zusammenfassen lassen. Tyler hat das Leben eines Rockstars mit all seinen Facetten durchlitten und genossen. Deshalb findet er es auch so erstaunlich (= amazing), dass selbst für einen wie ihn nach soviel Sex, Drugs & Rock’n’Roll nach wie vor ein Licht am Ende des Tunnels leuchtet. Auch hier verlief auf der Bühne wieder alles nach dem konzipierten Schema: Kamps spielte eine Psychologin, die sich von Spiess als Patient in Zwangsjacke dessen Lebensbeichte in Form des frei übersetzten Liedtextes anhört, während im Hintergrund der „Aerosmith“-Klassiker läuft und das Bild einer schnurgeraden Highway, die sich durch eine karge trostlose Landschaft zieht, auf eine übergroße Videowand projiziert wurde. Ähnlich verlief das komplette „Life Lyrix“ rund zwei Stunden lang. Die aus Karlsruhe stammende Alexandra Kamp ist populär geworden durch Streifen, die nicht gerade zu den Blockbustern der Filmgeschichte zählen, darunter „Horst Schlämmer – Isch kandidiere“, „Dracula 3000“ oder „2002 – Durchgeknallt im All“. Ronald Spiess wurde als Darsteller in der Serie „Die Fallers“ und in verschiedenen Rollen im „Tatort“ bekannt. Beide machten ihre Sache sehr gut und verstanden es glaubhaft und authentisch rüberzubringen, was die Schreiber der Songs zu vermitteln versuchten. Ben Streubel sorgte dafür, dass die Zuschauer bei guter Laune gehalten wurden, unter anderem mit einem kleinen Spiel, bei dem es deutsche ins Englische übersetzte Lieder erkannt werden mussten. Bei einem der Stücke handelte es sich um „Polonäse Blankenese“ – ein Machwerk, für das Gottlieb Wendehals zur Rechenschaft zu ziehen ist. Zu dessen lustigem Rhythmus wurde im Saal sofort geklatscht, und innerhalb von Sekunden drohte sich „Musikantenstadl“-Atmosphäre breitzumachen. Das wurde glücklicherweise durch ein fiktives Interview verhindert, dass Kamp als Reporterin mit Spiess in der Rolle des verstorbenen George Michael führte. Dessen Antworten setzten sich ausschließlich aus Liedtexten von Georgios Panayiotou, wie Michael mit bürgerlichem Namen heißt, zusammen. Das musikalische Gespräch zum Ende der Veranstaltung wurde zu einem echten Höhepunkt der „Live Lyrix“. Leider büßte die Veranstaltung durch die Zugabe „Azzurro“ von Adriano Celentano, zu der wieder munter geklatscht und geschunkelt wurde, ein wenig Glanz ein.

x