Ludwigshafen Wurst und Torte

Tobias Steinfeld heißt der neue Stadtschreiber für Jugendliteratur in Mannheim, der mit dem „Feuergriffel“ alle zwei Jahre verliehen wird. Die Jury, bestehend aus Vertretern der Frankfurter Buchmesse, des Instituts für Deutsche Sprache, dem Schnawwl, zwei Journalistinnen und einer Jugendlichen entschied sich für den in Düsseldorf lebenden Autor und seine Buchidee.

Bis Mitte Juli arbeitet der 32-Jährige nun in seiner kleinen Wohnung in der Alten Feuerwache an seinem Jugendroman „Im Himmel gibt es Sucuk, so viel Du willst“. Im Dalberghaus war Steinfeld nun erstmals mit einer Lesung zu erleben. Im Gespräch mit Bernd Schmid-Ruhe, dem Leiter der Stadtbibliothek, wirkte Tobias Steinfeld, in Jeans, Turnschuhen und weiß-blau gestreiftem Hemd, noch etwas schüchtern. Das änderte sich, als er das Mikrofon benutzte und zur Lesung seiner Texte überging. Als erstes las er das, was er „Motivationsschreiben“ nannte, also den Text, mit dem er sich bei der Jury um den „Feuergriffel“ beworben hatte. Mannheim ist für Tobias Steinfeld keine unbeschriebene Fremde, sondern eine Art Heimspiel, erfährt man. Drei Jahre hat er hier studiert, in einer WG gewohnt, im Herschelbad geschwommen, im Cafe Adria gefrühstückt und auf den Fußballplätzen in und um Mannheim den „Ball dopsen lassen“. Er beschreibt Mannheim liebevoll als „Stadt ohne Allüren“ und zitiert ein Schild im Herschelbad: „Morgens gehört das Schwimmbad den alten Menschen“, war da zu lesen, schwungvolle Sprünge vom Beckenrand waren damit untersagt. Jetzt hatte Steinfeld das Publikum auf seiner Seite. Es folgte eine Fußballanekdote aus seiner Mannheimer Kreisligaspielzeit, in der er die Übersetzungsschwierigkeiten des Mannheimer Idioms für einen, der aus Oldenburg stammt, beschrieb. Es gehe hier also um seine Migrationserfahrung, ließ er das schmunzelnde Publikum wissen. Es folgten die ersten beiden Kapitel des Jugendromans, den Steinfeld in den kommenden drei Monaten in Mannheim vollenden will. Der Protagonist heißt Paul, ist 13 Jahre alt und hat es „verrafft“, sich einen Platz für das „Schnupperpraktikum“ zu besorgen, den sein Ignatius-Gymnasium den Schülern der achten Klasse drei Wochen auferlegt. Deshalb landet Paul nicht in einer Werbeagentur oder Bank, sondern in einer Förderschule für geistige Entwicklung. An seinem ersten Tag wird Paul in eine Klasse aufgenommen und dort für den neuen Mitschüler Peer gehalten. Er verpasst es, die Verwechslung aufzuklären und ist jetzt nicht „Schnupperpraktikant“, sondern drei Wochen lang Behinderter unter Behinderten. Steinfeld lässt seine praktische Erfahrung als Inklusionshelfer an Schulen für geistige Entwicklung und Behindertenassistent in seinen Text einfließen. So humorvoll und präzise kann man über Menschen mit Behinderung nur schreiben, wenn man sie gut kennt. Seine Figuren wirken lebensnah und aufregend unkonventionell. Kein Wunder, dass Paul, der zur Begrüßung von einem Mitschüler auf den Mund geküsst wird, riecht, dass eine Mitschülerin neu gewindelt werden muss und feststellt, dass 13-Jährige mit 22-Jährigen in dieselbe Klasse gehen, in diesem Paralleluniversum viel zu staunen hat. Zum Abschluss seiner Lesung bekam Tobias Steinfeld vom Leitungsteam der Stadtbibliothek Eintrittskarten fürs Herschelbad und eine Torte mit brennenden Kerzen überreicht, denn er hatte Geburtstag. Nach einem spontanen „Happy Birthday“ des Publikums wurde an Stehtischen weitergefeiert mit Wein und der osteuropäischen Wurst „Sucuk“, um die es im Roman geht.

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