Ludwigshafen „Wollte jemand sein, der ich nicht bin“

Laith Al-Deen, auf Ihrem neuen Album „Was wenn alles gut geht“ verarbeiten Sie eine persönliche Krise. Was für Probleme waren das?

Ich möchte weder die Begriffe Burn-out noch Depression in den Mund nehmen, sondern Lebenskrise. Aber meine Krise kam einem Burn-out schon nah. Da die Musik sehr stark verbandelt ist mit dem Alltag, verliert man in solch einer Situation irgendwann auch die Lust an der Musik. Wann fing Ihre Krise an? 2011. Meine letzte Platte lief nicht so gut. Damals habe ich den Faden verloren und viele Dinge hinterfragt. Es ging eigentlich schon 2009 nach der Coverplatte so langsam los. Das Projekt selbst machte mir unheimlich viel Spaß, aber das Feedback war schlecht, was mich mehr mitnahm als ich dachte und ich mich dann zu Hause einigelte. Zu der Zeit hatte ich Schwindelanfälle und Probleme mit dem Blutdruck. Ich dachte, das sind Alterserscheinungen, aber irgendwann stellte ich fest, dass diese körperlichen Symptome in Bezug standen zu musikalischen Ereignissen. Haben Sie sich Hilfe geholt? Ja. Um überhaupt erst mal zu erkennen, was mit mir los war und was ich machen musste. Auf dem Weg, auf dem ich jetzt bin, habe ich festgestellt, dass es um mich herum viele gibt, die tiefer in sowas drinstecken als ich je vermutet hätte. Es gibt eine Studie von der WHO, dass die Depression 2020 Krankheit Nummer zwei sein wird. Das finde ich erschreckend, weil Depression schlecht greifbar und schwer zuzuordnen ist. Irgendwann wurde aus dieser Lebenskrise die Thematik meiner Platte. Es geht ja weiter, wenn das in einem leichteren Stadium passiert, kannst du dich mit Arbeit vollstopfen. Wie lange hat das funktioniert? Nun, irgendwann hat es bei mir nicht mehr funktioniert. Die Musik als treibende Kraft meines Lebens hatte mich verlassen. Ich fand die Schaffenskrise zuerst gar nicht so wüst. Nach dem letzten Album dachte ich, ich würde für mich irgendwann was Neues finden. Ich schrieb dann Rock-, Blues- und Roadmovie-Musik. Es kam aber nichts Zufriedenstellendes dabei herum. Das schob mich immer weiter ins Dunkle. Wie konnte Ihnen geholfen werden? Über Gespräche habe ich gelernt, mir selbst zuzuhören. Das war gar nicht so einfach. Ich bin froh, dass ich die Grenze rechtzeitig erkannt habe und endlich auch mal Zeit hatte, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen. Das ist jetzt alles auf Platte gepresst worden. Als ich diese Thematik bei den Songwriting-Sessions auf den Tisch legte, konnten alle Schreiber etwas damit anfangen. Was haben Sie falsch gemacht, dass es überhaupt so weit kommen konnte? Es lag am Druck. Aber es ist auch eine Frage der Reflexion. Viele glauben, dass sie gut über sich selbst Bescheid wissen, ich dachte das auch immer. Ist aber nicht so gewesen. Das Praktische ist, dass ich inzwischen eine Kommunikationstrainerin zu Hause habe, wobei ich sagen muss: Darüber mit meiner Frau zu sprechen fällt mir nicht immer leicht. Was machen Sie heute anders? Ich versuche positiv zu denken, meinen Bedürfnissen öfter gerecht zu werden und im Alltag Kleinigkeiten zu vermeiden – zum Beispiel Konjunktive: wäre, hätte, könnte, täte. Ist viel schwieriger, als es klingt! „Was wenn alles gut geht“ ist ein Plädoyer gegen das Zweifeln. Sind Sie selbst ein Zweifler? Total. Der geflügelte Satz vor einem Konzert ist immer noch: „Ob da einer kommt?“ Das sind klare Selbstzweifel. Aber es hilft, darüber Bescheid zu wissen. An sich selbst zu glauben ist eine der wichtigsten Eigenschaften im Leben. Wenn du nicht in dir selbst ruhst, meckerst du immer an anderen rum. Das sagt sich immer leicht, ist aber schwer umgesetzt. Ich bin Scheidungskind, ich fand es sehr spannend, mich einmal mit meiner Kindheit auseinanderzusetzen. Ich habe irgendwann festgestellt, dass ich als Musiker lange Zeit versucht habe, jemand zu sein, der ich nicht bin. Wie schafft man es als Künstler, in einer Krise überhaupt noch kreativ zu sein? Ich weiß von einem bildenden Künstler, der sich alle drei, vier Jahre in eine Wohnung in Paris einmietet, sich mit Drogen zu haut und danach eine Bilderserie malt. Das klingt extrem und klischeemäßig, aber es funktioniert bei ihm nur, wenn er an einem Tiefpunkt seines Lebens ankommt. Ich bin irgendwann auf den Trichter gekommen, dass ich mit meiner Krise nicht allein bin. Vielleicht ist es ja für andere eine Hilfestellung, wenn ich darüber singe. Damit habe ich 2013 angefangen und es ging mit mir tatsächlich wieder bergauf. Mit welchem Song ging es los? Einer der ersten Songs, den ich jemand anderem vorgespielt habe, war „Steine“. In „Steine“ singen Sie von Stimmen in Ihrem Ohr und Steinen im Magen. Klingt nach Tinnitus? Ich kenne nur wenige Musiker, die keinen Tinnitus haben. Aber bei mir ist es eher dieses kleine Männchen, das mir entweder sagt, ich müsse mehr Gas geben oder dass es nicht reicht, was ich da tue. Aber ich muss mich auch ein bisschen unter Druck setzen. Für dieses Album habe ich insgesamt 70 Titel zusammengebaut. Braucht man jemanden, der einen anschiebt, wenn man eine gewisse Schwelle überschreiten will? Ich kenne Leute, die einfach nur in den Tag hineinleben und nichts abschließen. Ich persönlich brauche letztendlich jemanden, der mich quält, weil ich prinzipiell faul bin. Einer, der selbst so stringent ist, ist Peter Maffay. Er ist immer als erster da und als letzter weg. Ich glaube, Peter braucht dieses Getriebene. Ab wann kamen Peter Maffay und dessen Produzent Peter Keller bei diesem Album ins Spiel? Da war ich noch mitten in der Krise. Während der letzten „Tabaluga“-Tournee redete Peter Keller viel auf mich ein. Er sagte, er wolle mal etwas ausprobieren und ich solle doch mal nach Hamburg kommen. Dabei sind dann direkt zwei Songs für das neue Album entstanden. Sie singen sogar ein Duett mit Peter Maffay, es heißt „Wenn gestern heute wäre“. Ein Wunsch-Duett oder kalte Berechnung? Die Idee, ein Duett mit Maffay zu machen, entstand auf Grund der positiven musikalischen Begegnungen in den letzten zwei Jahren. Es ergab sich die Gelegenheit, ihn zu Hause auf Mallorca zu treffen und ihm den Song vorzuspielen. Er mochte die Idee, wir wurden uns einig und der Rest ging ziemlich flott über die Bühne. Ist Maffay für Sie ein Vorbild? Definitiv. Ich habe noch eine „Steppenwolf“-Kassette von meiner Mutter. Das Album ist 1979 erschienen. Ich mochte damals besonders „Sonne in der Nacht“, aber ich bin ganz ehrlich: Es gibt auch Maffay-Sachen, die ich nicht mag. Meine Mutter war aber immer Fan. 20 Jahre später fand ich mich auf einer Bühne wieder, auf der ich mit Peter Maffay „Sonne in der Nacht“ sang. Dieser Moment war schon besonders. Was sagt Ihre Mutter zu Ihrer Zusammenarbeit mit Maffay? Sie findet das natürlich klasse. Sie traf ihn mit mir im Backstage-Bereich, als er gerade eine Sportübung absolvierte. Maffay sagte zu ihr: „Hallo, ich bin Peter. Magst du was trinken? “ Damit hatte meine Mutter einfach nicht gerechnet. Zu dem Zeitpunkt siezte sie noch alle, aber die anderen duzten sie schon. Ich glaube, meine Mutter hatte selbst als alles vorbei war noch nicht ganz realisiert, was da gerade passiert war. Es war schön anzuschauen, dass sie mal sprachlos war.

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