Ludwigshafen „Wenn wir vergessen, wird sich alles wiederholen“

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Luigi Toscano, es gibt bereits viele historische Ausstellungen zum Thema Nationalsozialismus und seinen schrecklichen Folgen. Ist das Terrain nicht abgegrast?

Überhaupt nicht. Ich wollte schon lange etwas zu diesem Thema machen. Das hat schon immer in mir geschlummert. Doch erst mit „Heimat Asyl“ hat sich mir der Weg aufgezeigt. Die Installation war eine kreative Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Das funktioniert natürlich auch mit der Vergangenheit. In dem Jahr, in dem sich die Befreiung von Auschwitz zum 70. Mal jährt, ist „Gegen das Vergessen“ genau die Ausstellung, die ich machen möchte. Sie hängen wieder großflächige Porträtfotos an die Fassade der Alten Feuerwache? Genau, diesmal sind es die Gesichter von ehemaligen KZ-Häftlingen und Zwangsarbeitern. Sie sollen wie die Flüchtlinge den öffentlichen Raum erobern – ganz ohne Wertung, ohne moralischen Zeigefinger. Jeder, der die Fotos sieht, hat die Chance, sich selbst damit auseinanderzusetzen – und sei es auch nur für ein paar Sekunden, in denen er oder sie mit dem Auto an der Alten Feuerwache vorbeifährt. Die Dimension der Ausstellung ist diesmal aber größer als bei dem Projekt „Heimat Asyl“. Eigentlich war das gar nicht geplant (lacht). Aber jetzt wird die gesamte Vorderfront, die Innenseiten und Teile des Turms verhängt. Auch die Maße der Fotoinstallationen sind mit 2,3 mal 2 und 2,3 mal 1,6 Metern größer. Was für Material verwenden Sie? Die Fotografien werden auf einen witterungsbeständigen Gewebestoff gedruckt, der bis zu einem gewissen Grad lichtdurchlässig ist. Sonst säßen die Mitarbeiter der Feuerwache ja im Dunkeln. Wie viele Menschen haben Sie fotografiert? Circa 200 Frauen und Männer. 70 Fotos werden bei der Ausstellung zu sehen sein. Momentan befinde ich mich gerade in der Auswahlphase. Das ist sehr intensiv für mich, weil ich wieder mit allen Schicksalen konfrontiert werde. Sie sind für ihre Portraits um die halbe Welt gereist. War das auch eine emotionale Reise? In jedem Fall. Ich war in Deutschland, Israel, in Russland, in der Ukraine und in den USA unterwegs. Jeder, den ich fotografiert habe, hat mir auch seine Geschichte erzählt. Ich musste schreckliche Dinge anhören, das hat mich natürlich sehr mitgenommen. Wie sind Ihnen diese Menschen begegnet? Da war alles dabei. Manche waren sehr misstrauisch, vor allem in Russland und in der Ukraine. Einige Männer haben mir auf den Kopf zugesagt, ich sei ein Faschist und wolle ihre Fotos für unlautere Zwecke verwenden. Am Ende haben wir dann Brüderschaft getrunken. Dann gab es wieder eine alte Dame, die hatte extra Kuchen gebacken. Hat es geholfen, dass Sie Italiener sind? Das bin ich eigentlich nur dem Pass nach. Aber trotzdem denke ich, dass mein italienischer Name es mir leichter gemacht hat, Kontakt zu einigen Leuten zu bekommen. Was war der emotionalste Moment? Das war im Holocaust-Museum in Washington. Es war die letzte Fotoreise, die wir gemacht haben. In einem Raum des Museums stehen die Namen aller Konzentrationslager an der Wand. Ich kannte jeden einzelnen Namen. Und ich hatte Gesichter zu diesen Namen. Gesichter von den Menschen, die ich fotografiert, mit denen ich gesprochen habe. Ich schäme mich nicht zu sagen, dass ich in Tränen ausgebrochen bin. Ihre Ausstellung heißt „Gegen das Vergessen“. Immer häufiger werden jedoch in Deutschland Stimmen laut, die fordern, man solle die Vergangenheit endlich ruhen lassen. Wenn wir vergessen, dann sind wir dazu verdammt, die Vergangenheit zu wiederholen. Gegenüber den Opfern ist das außerdem sehr respektlos. Ich habe in Deutschland einen jüdischen Herrn getroffen, der Auschwitz überlebt hat. Er hat heute noch große Angst davor zum Arzt zu gehen, und wenn er einen hohen Schornstein sieht, muss er sofort wegschauen. Das finde ich sehr krass. Ich habe auch viele Angehörige getroffen, beispielsweise Kinder von KZ-Häftlingen, die durch die Erfahrungen ihrer Eltern geprägt sind. Wir haben eine Verantwortung aus unserer Geschichte heraus, der müssen wir uns stellen. Sie müssen wissen, die Ausstellung hat noch gar nicht angefangen, und ich habe bereits die ersten negativen Kommentare bekommen. Wirklich? Ja. Auf meiner Facebook-Seite haben sich schon Leute negativ geäußert. Aber damit habe ich gerechnet. Ich bin überzeugt, dass Kommentare dieser Art noch zunehmen werden. Leider. Aber das ist mir egal. Termin Die Eröffnung der Ausstellung „Gegen das Vergessen“ findet am Mittwoch, 16. September, 20 Uhr, in der Alten Feuerwache in Mannheim statt.

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