Ludwigshafen Wenn die Erinnerung gelöscht ist

Was passieren kann, wenn ein Mensch seine Persönlichkeit verliert, zeigt Regisseur Jan Schomburg mit eindringlicher Bildgestaltung in seinem Film „Vergiss mein Ich“. Dafür hat ihm die Jury des Festivals des deutschen Films am Samstag den Preis für Filmkunst verliehen. Das Publikum hat diesmal gleich zwei Filme prämiert: das Sozialdrama „Jack“ und „Im Schmerz geboren“ aus der Krimireihe „Tatort“.

Bei der Premiere 2005 hätte man sich nicht träumen lassen, dass das Festival des deutschen Films auf der Parkinsel in Ludwigshafen zehn Jahre später das zweitgrößte Publikumsfestival nach der Berlinale sein würde, erklärte Festivaldirektor Michael Kötz stolz. 19 Filme wetteiferten diesmal um den Filmkunstpreis und 23 um den Publikumspreis, darunter Kinofilme und Fernsehproduktionen. „Die Gleichbehandlung von Spielfilmen, die nicht ins Kino kommen, und denen, die es versuchen oder versucht haben, ist mittlerweile zu einem Erkennungsmerkmal des Festivals des deutschen Films geworden“, betonte Kötz. Auch das Publikum stört sich daran in keinster Weise: Filme, bei denen klar ist, dass sie auch in wenigen Monaten im Fernsehen gezeigt werden, sind trotzdem ausverkauft. Und so wählten die Besucher auch „Im Schmerz geboren“ von Regisseur Florian Schwarz zum Publikumsliebling 2014. Der „Tatort“ mit dem Wiesbadener LKA-Ermittler Felix Murot (Ulrich Tukur), der im Zentrum eines perfiden Rachefeldzugs steht, ist ein fulminantes Spektakel, bei dem Shakespeare-Tragödie auf Spaghetti-Western trifft. Für die Realisierung des Films hatte die Spielfilmredaktion des Hessischen Rundfunks bereits am vergangenen Freitag den Medienkulturpreis erhalten, der zum ersten Mal in Ludwigshafen verliehen wurde: „Für den mutigen Umgang mit dem Publikum, dem man ohnehin mehr zutrauen darf, als manche glauben“, lobte Kötz. Die Jury, bestehend aus den Schauspielern Liv Lisa Fries, Jockel Tschiersch und Hans-Jochen Wagner, vergab eine besondere Auszeichnung an das gesamte „Tatort“-Ensemble für dieses „Gesamtkunstwerk“. Theaterregisseur Milo Rau bekam für seinen inszenierten Dokumentarfilm „Die Moskauer Prozesse“ eine besondere Auszeichnung ebenso wie die Schauspieler Tristan Goebel, Jördis Triebel und Alexander Scheer, die in Christian Schwochos deutsch-deutschem Drama „Westen“ brillierten. Den Publikumspreis teilt sich „Im Schmerz geboren“ mit Edward Bergers Sozialdrama „Jack“. Berger zeigt in dem Film, der ganz auf seinen jugendlichen Hauptdarsteller Ivo Pietzcker zugeschnitten ist, wie sich ein Junge im Berliner Großstadtdschungel durchschlagen muss. Die Mutter kümmert sich nur sporadisch um Jack und seinen kleinen Bruder Manuel, bis sie ganz verschwunden ist. Der Förderverein „Freunde des Festivals des deutschen Films“ stiftet 10.000 Euro Preisgeld, das nun brüderlich geteilt wird. Der Preis für Filmkunst ging an Regisseur Jan Schomburg für „Vergiss mein Ich“ mit Maria Schrader. Nach einer Hirnhautentzündung ist Lenas biografisches Gedächtnis komplett gelöscht. Sie weiß nichts mehr über ihr früheres Leben und erkennt auch ihren Ehemann Thore nicht mehr. „Wenn man seine Persönlichkeit verliert, kommt einem das Selbst abhanden und seiner Umgebung das Gegenüber. Dem Regisseur Jan Schomburg ist es gelungen aus dieser Hypothese einen sinnlichen Film zu machen“, lautete das Urteil der Jury. Durch die Schauspieler, die Bildgestaltung und die Musik erhalte dieser Film eine besondere Intensität. Der Filmkunstpreis ist mit 50.000 Euro dotiert. Davon gehen 10.000 Euro an den Regisseur, 10.000 Euro an die Produktionsfirma Pandora und 30.000 Euro an Filmverleih, der „Vergiss mein Ich“ in die Kinos bringt. Mit der Berücksichtigung des Filmverleihs soll der Mut, deutsche Filme in die Kinos zu bringen, unterstützt werden. „Das Programmkino funktioniert nicht so gut, wie es könnte“, erklärte Michael Kötz. Warum das so ist, möchte er beim elften Festival mit Leuten vom Fach erörtern. Auch ein Branchentreff zur Beziehung zwischen TV-Film und Publikum soll es geben. So will Kötz die Tradition der „Strandgespräche“ wieder beleben.

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