Ludwigshafen Welträtsel bleibt ungelöst

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Erstmals haben die Bloch-Assoziation und die Bloch-Gesellschaft gemeinsam eine Tagung abgehalten. An drei Tagen haben sich Wissenschaftler und Laien im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum mit Ernst Blochs Terminus vom „Dunkel des gelebten Augenblicks“ befasst.

Die Bloch-Assoziation, 1985 zum 100. Geburtstag Blochs gegründet und aus einem Lesekreis hervorgegangen, ist die ältere und hat knapp 100 überwiegend nicht wissenschaftlich tätige Mitglieder. Die ein Jahr jüngere Bloch-Gesellschaft, deren 130 Mitglieder ausschließlich Universitätsdozenten sind, sei in der Vergangenheit „manchmal etwas überheblich“ mit der älteren Schwester umgegangen, übte deren Vorsitzende Francesca Vidal bei der Eröffnung leise Selbstkritik. Die Kluft ist jedoch offenbar nicht mehr so groß, seitdem Doris Zeilinger, die Vorsitzende der Bloch-Assoziation, vor drei Jahren als Mitherausgeberin das Bloch-Wörterbuch, ein Nachschlagewerk zu Leitbegriffen der Philosophie Ernst Blochs, herausgebracht hat. Dass die erste gemeinsame Tagung der beiden Zusammenschlüsse ein erhellendes Licht in Blochs „Dunkel des gelebten Augenblicks“ bringen würde, war nicht zu erwarten und wohl auch von vornherein nicht beabsichtigt. Denn sogar Bloch selbst beanspruchte nicht, diesen „Knoten des Welträtsels“ gelöst zu haben. Seine endgültige Lösung behielt er einer utopisch erlösten Zukunft vor, in der der Mensch zur vollständigen Selbsterkenntnis und Erkenntnis der Welt gekommen wäre. Die Problemstellung des Dunkels im gelebten Augenblick aber stammt aus der Romantik und wurde Bloch durch die sogenannte Lebensphilosophie des 19. Jahrhunderts, mit der er aufgewachsen ist, vermittelt. Der Augenblick entzieht sich dem reflektierenden Bewusstsein. Sobald nämlich eine Reflexion auf den Kern des Selbst einsetzt, ist dieser Zeitmoment schon wieder vergangen. Der Mensch lebt daher bewusst immer nur in der Vergangenheit oder in der Zukunft, in Rückblicken oder Erwartungen. Anfang und Ende der Tagung schlossen sich so auch wunderbar ergänzend zusammen. Doris Zeilinger beendete ihren Eingangsvortrag mit der offenen Frage, wie eine Lichtung des Dunkels ohne die Annahme eines Gottes jemals gelingen solle. Und Rosalvo Schütz aus Brasilien rührte am Tagungsende an die Vorstellung einer werdenden Gottheit und warf dabei Seitenblicke auf die südamerikanische Befreiungstheologie. Den erhellendsten Vortrag freilich hielt der Schweizer Beat Dietschy, der letzte Assistent Ernst Blochs in Tübingen. Er schlug einen Bogen vom Wiedererkennungsmotiv in der altgriechischen Epik und Tragödiendichtung über den Messianismus im Neuen Testament bis zu Ludwig Tieck und Karl May. „Auch das Unheimliche an der Selbsterkenntnis war Bloch bekannt“, betonte Dietschy . Er schenkte sein Augenmerk aber besonders den „Symbolintentionen“ in Blochs Werk, Bilder, in denen der utopische Endzustand aufblitzt. Mit dem politischen Aspekt des „Dunkels des gelebten Augenblicks“ beschäftigte sich Julia Zilles, neu im Vorstand der Bloch-Gesellschaft und an der Universität Göttingen in der Forschung über Protest-Bewegungen tätig. Zweifel kamen der Referentin allerdings angesichts der Pegida-Bewegung an einer allgemeinen Definition, die den Protest im Blochschen Sinne als eine Bewegung bestimmt, die auf eine mögliche bessere Welt abzielt. Auf die Protestbewegungen in den arabischen Ländern als Befreiungsversuche von Diktatoren träfe eine solche Definition dagegen zu. Der Tunesier Mohamed Turki musste seinen diesem Thema gewidmeten Vortrag jedoch vorzeitig mit tränenerstickter Stimme abbrechen. Dies zeigte, dass eine Beschäftigung mit philosophischen Begriffen nicht abstrakt und rein akademisch ist.

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