Ludwigshafen Vieldeutige Worte und glückliche Schnaken

Seit 37 Jahren gibt es die Mannheimer „Räuber“, seit 29 Jahren vergibt die Literaturvereinigung alljährlich einen Preis für Kurzgeschichte oder Lyrik. Diesmal wurden Gedichte zum Thema „Glücksfälle“ gesucht. Der erste Preis ging an Ute Dietl, der zweite an Michael Hüttenberger, beide aus Darmstadt. Mit dem dritten Preis wurde Kristin Wolz aus Ladenburg ausgezeichnet.

Der Preis heißt „Mannheimer Literaturpreis“, seitdem sich die „Räuber ’77“ von der Heinrich-Vetter-Stiftung getrennt haben. Damit ist das Preisgeld von vormals 10.000 Euro auf ein Zehntel abgeschmolzen, auf 500, 300 und 200 Euro. Das habe sich nicht in der Zahl der Bewerbungen niedergeschlagen, sagte der kommissarische Vorsitzende Hanno Roether-Stuck. Sie lag, wie auch schon im Vorjahr, bei über 90 Bewerbungen. Bewerben kann sich, wer in einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern von Mannheim wohnt oder Mitglied der „Räuber ’77“ ist. Die Jury, die ihre Entscheidung ohne Kenntnis der Autorennamen fällt, bestand aus Renate Willig-Wagner, Oberstudienrätin im Ruhestand in Heidelberg, Reinhard Kaden, Verleger in Mannheim, und Michael Braun, Literaturkritiker in Heidelberg. Bei der Preisverleihung im Mannheimer Theaterhaus TiG7 stellten jeder einen Preisträger vor. Für den verhinderten Braun sprang Eva-Maria Reis ein. Geld spiele für das Ansehen des Preises offensichtlich keine Rolle, stellte Roether-Stuck fest. Da die meisten Preisträger und Nominierten – die Texte werden von den „Räubern“ in einer Broschüre veröffentlicht – bereits literarische Auszeichnungen erhalten haben, ist wohl etwas anderes wichtig: Eine regionale literarische Szene hat sich etabliert, die sehr lebendig und gut vernetzt ist. Dass Ute Dietl und Michael Hüttenberger ihre Gedichte in Kleinschreibung und ohne Interpunktion im Blocksatz schreiben, ist wohl ein Phänomen der Darmstädter Literaturszene. Da es die Texte schwer lesbar und interpretationsoffen macht, kam bei deren Vorstellung auch zur Sprache, wie sie zu lesen seien. Die Zuordnung der Wörter, die Ute Dietl in ihrem Preisgedicht „wie nichts“ aneinander reiht, ist variationsbreit. Es entfaltet, so die Laudatio, „seinen klanglichen Zauber, der darin besteht, ein kleines Universum aus Farben, Vogelnamen, Tätigkeitsverben und Körperzeichen aufzubauen.“ Es ist ein atmosphärisches Bild eines abstrakten Glücksgefühls. Für ein anderes Gedicht aus dem gleichen Zyklus erhielt Ute Dietl den Feldkircher Lyrikpreis. Sie ist Psychologin und Psychotherapeutin und seit 2010 Mitglied der Darmstädter Textwerkstatt. Michael Hüttenberger ist Mitglied im Darmstädter „Zentrum junge Literatur“. Er war Schulleiter und Stadtverordneter in Darmstadt. Seit 2008 ist er freier Autor von hauptsächlich Lyrik, Kurzprosa, Kommentaren und Glossen und hat einen Zweitwohnsitz in Ostfriesland. Unter seinen zahlreichen Preisen ist auch ein Krimipreis. Sein Gedicht „Sommernacht“ beschreibt einen persönlichen Glücksmoment der Einheit von Natur und Liebe, den der Laudator in die Nähe von Eichendorff rückte. Markant ist der Schluss: „In dieser lauen Nacht besaufen sich die Schnaken an unserem Glück“. Kristin Wolf reflektiert über das Wesen von Glücksfällen. Sie war Lehrerin für Englisch und Deutsch, bildete sich weiter zur Lerntherapeutin. Sie lebt in Ladenburg und Umbrien. Ihr Preisgedicht „glücksfälle: märchenhaft“ setzt in eigenwilliger Strophenform das Eintreffen von Glück in Beziehung zu Märchenfiguren, mit denen sich das Ich identifiziert. Blüten regnen auf Aschenputtel; Pauken wirbeln für Goldmarie; der Zufall stolpert zu Allerleirauh.

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