Ludwigshafen Prototyp eines Attentäters

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Seit Januar ist Tilmann Gersch neuer Intendant des Theaters im Pfalzbau. Der Spielplan bietet jetzt neben Elitetheatern wie den Münchner Kammerspielen, dem Deutschen Theater Berlin oder dem Züricher Schauspielhaus auch spannende Off-Produktionen und Popkonzerte. Auch das theaterpädagogische Konzept für den Jungen Pfalzbau hat sich verändert. Sechs Produktionen stemmt das Haus mit Kindern, Jugendlichen, Menschen mit Beeinträchtigung oder Migrationshintergrund. Das Antikenprojekt „Ajax“ mit Jugendlichen leitet Gersch persönlich.

Auf der erhöhten Bühnenkante sitzen neun junge Menschen und baumeln mit den Beinen. In der Hand halten sie einen 2000 Jahre alten Text. Vor ihnen schreitet Tilman Gersch die Reihe ab. Die Hände ausgebreitet und rhythmisch bewegend, wie ein Dirigent treibt er die Jugendlichen zu Konzentration und präzisen Anschlüssen an. Bis zur Premiere von Sophokles „Ajax“ muss die Probenzeit intensiv genutzt werden. Zwischen 12 und 18 Jahren sind die Jugendlichen Darsteller alt. Eigentlich sind es 15 Mitspieler. Aber wer tatsächlich zur Probe kommt, erfährt Tilman Gersch oft erst bei Probenbeginn und nimmt es gelassen „Ich sehe den Zipfel der Wurst bei unserer Arbeit und bin zuversichtlich“. Die Jugendlichen ziehen sich eigenständig um. Auf einem Garderobenständer hängen rote lange Abendkleider, Paillettengold, das wie eine Rüstung aussieht, und Tarnanzüge in Natogrün. Die Jugendlichen verwandeln sich in die Figuren von Sophokles’ „Ajax“. Die Bühne von Henrike Engel, die auch Gerschs „Faust“-Inszenierung am Hessischen Staatstheater Wiesbaden ausgestattet hat, ist in Schwarz-weiß gehalten. Im rechten Bühnenhintergrund steht Ajax’ Hütte mit doppelter Schiebetür. Aus dem Bühnenhimmel hängen drei Bahnen meterlanges, weißes Wollfließ bis auf den Boden und erinnern auf abstrakte Weise an Schafe. Rechts und links wird die Bühne strukturiert von vier in einer Reihe stehenden Tischen mit Stühlen für die Darsteller. „Von hier aus begleiten die Jugendlichen das Bühnengeschehen und kommen zu ihren Auftritten“, erklärt Gersch. Warum entscheidet man sich, Jugendliche in einen Seitenarm der verzweigten Geschichte des Trojanischen Kriegs einzuarbeiten? „Für mich ist Ajax der Prototyp eines Attentäters“, stellt Gersch den Bezug zwischen heute und der Antike her. Wie alle griechischen Tragödien, beginnt das Stück mit der Erzählung einer Vorgeschichte. Ajax war ein großer Held und zwar nach dem fast unverwundbaren Achill der Zweitstärkste im griechischen Heer. Als Achill durch Hektor fällt, erhebt Ajax zu Recht Anspruch auf Achills Rüstung. Doch die Könige ziehen den listigen Odysseus vor und machen ihn zu Achills ruhmreichem Nachfolger. Tief gekränkt setzt Ajax zum gnadenlosen Morden an Odysseus und seinen Gefolgsleuten an. Die Göttin Athene greift ein und mildert die Mordlust des Ajax, indem sie ihn in den Glauben versetzt, Menschen zu töten, während er eine Schafherde niedermetzelt. Als das öffentlich wird und Ajax wieder zur Besinnung kommt, sieht der jetzt Ehrlose nur noch den Freitod als letzten Ausweg und lässt Frau und Sohn schutzlos zurück. Tilman Gersch hat sich viel vorgenommen, wenn er diese Geschichte von Jugendlichen erzählen und darstellen lassen will. Der Text ist auch in der modernen Übersetzung von Simon Werle verstörend konkret und archaisch zugleich. Gerade wenn man sich wie Gersch wünscht, dass „über den Text Dimensionen entstehen“, gehört eine punktgenaue rhythmische Metrik zur Vermittlung der Antike, die selbst für Profis eine Herausforderung darstellt. Die Idee, Ajax von einem deutschen und einem iranischen Jungen zugleich darstellen zu lassen, um den Attentäter nicht in einem bestimmten Kulturfeld anzusiedeln, verspricht spannend zu werden. Und auch die Idee, Kernsätze wie „Wohin gehen? Wo bleiben?“ in allen Sprachen sprechen zu lassen, derer die Jugendlichen mächtig sind, hat eine eigene Poesie, die eine Brücke zu diesem 2000 Jahre alten Text schlägt. Termine und Karten Premiere am Mittwoch, 16. September, 19.30 Uhr, im Theater im Pfalzbau. Weitere Vorstellungen am 17., 18. und 19. September. Karten unter Telefon 0621/5042558.

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