Ludwigshafen Nie wieder Ludwigshafen

Der letzte Kindertransport aus Nazi-Deutschland fand 1939 kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs statt. Eins der Kinder war Ursula Michel aus Ludwigshafen. Die Veranstaltung „Koffer gepackt und überlebt“ im Pfalzbau hat an ihr Schicksal und das anderer jüdischer Kinder erinnert.

Vor dem Haus Pfalzgrafenstraße 67 erinnern seit Mai 2010 vier in das Pflaster eingelassene Stolpersteine an die Familie Michel. Hier war sie Zuhause, bevor Vater Heinrich, Mutter Gertrud und Tochter Lilli von den Nazis deportiert und getötet wurden. Die ältere Tochter Ursula entkam 1939 in einem Kindertransport nach England und überlebte. Ihrem Schicksal wurde nun in „Koffer gepackt und überlebt - Von Ludwigshafen am Rhein nach London“, einer Veranstaltung im Theater im Pfalzbau, gedacht. Intendant Hansgünther Heyme und der Regisseur Jürgen Esser lasen im „Gläsernen Foyer“ abwechselnd aus Briefen, Erinnerungen und Dokumenten der jüdisch-protestantischen Familie Michel sowie Auszüge aus Ursula Krechels thematisch ähnlich gelagertem Roman „Landgericht“, der 2012 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde. Anschließend war der knapp 20-minütige, dokumentarische Film „Koffer gepackt und überlebt“ von Kristina Förtsch und Christian Schega zu sehen, den der Arbeitskreis „Ludwigshafen setzt Stolpersteine“ in Auftrag gegeben hat. Ursula Michel wurde 1923 in Ludwigshafen geboren. Vier Jahre später kam ihre Schwester Lilli zur Welt. Die beiden Mädchen wurden evangelisch getauft. Ihre Mutter war Protestantin, ihr Vater Jude. Heinrich Michel arbeitete als Justizinspektor, bis er 1933 gezwungen wurde, seinen Beruf aufzugeben. Ursula besuchte die Volkshauptschule und danach das Mädchenlyzeum, das heutige Geschwister-Scholl-Gymnasium. 1938 musste die Familie ihre Wohnung in Ludwigshafen räumen und kam in Mannheim in H7, 13 unter – in einem Haus, in das ausschließlich Juden zwangseingewiesen wurden. Ihr Vater wurde wie viele andere jüdische Ludwigshafener im Herbst 1938 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt. Ursula konnte Deutschland mit einem der letzten Kindertransporte verlassen – am 25. August 1939, genau eine Woche bevor das Deutsche Reich Polen überfiel und damit den Zweiten Weltkrieg entfachte. Die britische Regierung hatte die Einreise von zirka 10.000 „jüdischen und nicht-arischen Kindern“ erlaubt, die ein Visum für Großbritannien erhielten. Ursula erreichte England am 26. August, wo sie in eine Familie aufgenommen wurde. Von ihrer Mutter erhielt sie drei Jahre später ein Telegramm: „Liebes Urselchen! Sind gesund. Werden am 24. April abreisen. Ziel unbekannt.“ Heinrich, Gertrud und Lilli Michel wurden ins Durchgangslager Izbica im deutsch besetzten Polen deportiert und ermordet. Ursula heiratete 1946 in Staffordshire den Briten Harold Rhodes. 1953 kam ihre Tochter Judith Rhodes zur Welt, die beim Gedenkabend im Pfalzbau wie schon bei der Verlegung der Stolpersteine in der Pfalzgrafenstraße zu Gast war. Ursula Michel selbst war bis zu ihrem Tod im Jahr 2011 nie mehr nach Ludwigshafen zurückgekehrt.

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