Ludwigshafen Nach der Wut die Versöhnung

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Erstmals in seiner Laufbahn als Regisseur studiert Tilman Gersch, der Intendant des Theaters im Pfalzbau, ein Stück mit Laiendarstellern ein. Die Produktion „Wut/Woyzeck“ verbindet Elfriede Jelineks Bühnentext „Wut“ mit Georg Büchners Klassiker „Woyzeck“. Premiere ist am Freitag auf der großen Bühne im Theater im Pfalzbau.

Irgendwann war es, von den Medien in die Welt gesetzt, in aller Munde, das Schlagwort vom „Wutbürger“. 2010 brachte der Begriff es sogar zum „Wort des Jahres“. Stets haftete ihm dabei ein rechter Stallgeruch aus der AfD- und Pegida-Ecke an. Dann griff die österreichische Dramatikerin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, irgendwelcher Sympathien für Rechts unverdächtig, nach dem Anschlag von Islamisten auf die Redaktion der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“ und einen koscheren Supermarkt in Paris die Stimmung auf und stellte 2015 eine Textcollage unter dem Titel „Wut“ ins Internet. Die Zitate reichen von dem Beginn der „Ilias“, dem ältesten Epos Europas („Singe den Zorn mir“) bis zu rassistischen und nationalistischen Äußerungen und Parolen des sogenannten kleinen Mannes auf der Straße, die die Schriftstellerin aktuellen Zeitungsberichten entnommen hat („Die Juden weichen nicht. Sie sollen weg, aber nein, sie klammern sich fest“). Das Hamburger Thalia-Theater hat Jelineks Text im vergangenen Jahr verquickt mit „Rage“ des englischen Dramatikers Simon Stephens, einem noch vor dem Brexit entstandenen Stück über frustrierte englische „Wutbürger“ in ihrer monströsen Aggressivität. Am Ludwigshafener Theater im Pfalzbau studiert nun Intendant Tilman Gersch mit Laien ein Stück mit Jelineks Text ein und bringt ihn mit Büchners „Woyzeck“ zusammen. Nach Ansicht des Regisseurs und seiner Dramaturgin Barbara Wendland, die die Textfassung erstellt hat, ergänzen sich die beiden Stücke ideal. Während Elfriede Jelinek dem „alltäglichen Terrorismus in den Köpfen“ nachspüre, zeige Büchner die Seelenqualen eines gedemütigten und misshandelten Menschen, der vom Opfer zum Täter, vom Gequälten zum Mörder wird. Seit einem Dreivierteljahr arbeitet Gersch an der Inszenierung. Über 50 Bürger aus Ludwigshafen und Umgebung, aus allen Altersgruppen und sozialen Schichten, haben Interesse gezeigt, an dieser Produktion mitzuwirken. Noch die Hälfte von ihnen – der jüngste zwölf Jahre alt, die ältesten Mitte 60 – wird jetzt bei der Premiere am Freitag auf der Bühne stehen. Etliche sind abgesprungen, haben anderswo eine Arbeit gefunden oder sind als Bürgerkriegsflüchtlinge in andere Orte verlegt worden. Von einer Auslese oder einem Casting hält der Regisseur nichts. Jeder, der wolle, dürfe auch auftreten. „Dass sie mit Lust kommen, ist die wichtigste Voraussetzung“, pflichtet ihm seine Ehefrau, die Dramaturgin Barbara Wendland, bei. „Wut/Woyzeck“ ist Tilman Gerschs erste Regiearbeit mit Laien. „Es ist eine ganz andere Arbeitsweise“, sagt er. „Die Schauspieler sind ja an keinen Vertrag gebunden und bekommen keine Bezahlung. Die meisten stehen noch im Berufsleben. Ihr einziges Motiv ist die Freude am Mitmachen.“ Der Regisseur ist in den Proben jedenfalls sichtlich bemüht, seine Darsteller zu ermutigen. „Wichtig ist bei euch jungen Leuten, dass ihr euch mehr traut“, ermuntert er die Gruppe der Jüngeren, die von oben durch eine Öffnung am Ende einer hohen Treppe auf die Bühne herabschaut. Die Gruppe spricht im Chor. Die andere Gruppe, die Älteren, sitzen derweil vorne am Bühnenrand aufgereiht auf Stühlen und sprechen abwechselnd Sätze aus Jelineks Text. Gerschs Inszenierung stellt das Doppelstück unter das übergreifende Thema des Generationenkonflikts. „Die Alten verstehen die Welt nicht mehr, die Jungen üben Terror aus“, erläutert der Regisseur seine Interpretation. Den „Woyzeck“, der in Gerschs Inszenierung den Mittelteil bildet, ordnet er der Jugend zu. Einige Darsteller tragen die gleichen Kostüme, denn jede Rolle ist auf mehrere Sprecher verteilt, die die Sätze ihrer jeweiligen Figur im Wechsel sagen. Die Darsteller im weißen Kittel stellen den Doktor vor, einen der Folterer des Soldaten Woyzeck, die Darstellerinnen im rotweiß geblümten Kleid die Marie, Woyzecks Geliebte, die er am Ende aus Eifersucht ersticht. Nach dem Büchner-Exkurs greift „Wut/Woyzeck“ wieder Jelineks Text auf. Anders jedoch als die beiden Stücke mit ihrem Fatalismus und Nihilismus endet die Ludwigshafener Inszenierung versöhnlich. Da fallen Worte wie „Wir gehören alle zusammen“ oder „Wir haben einen einzigen Gott“. Auf die am Ende intendierte harmonische Einheit weist auch die Mehrsprachigkeit hin, die die gesamte Inszenierung durchzieht. Immer wieder werden Zitate auf Türkisch, Arabisch und in anderen Sprachen wiederholt. „,Wut/Woyzeck’ hat einen terroristischen Hintergund“, sagt die Dramaturgin Barbara Wendland. „Aber dem Fatalismus beider Stücke möchten wir etwas entgegensetzen.“ So sind es am Ende vielleicht doch weniger „Wutbürger“ als „Mutbürger“, die da auf der Bühne Bürgertheater spielen. Termin Premiere am Freitag, 28. April, 19.30 Uhr, im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen. Weitere Aufführung am Samstag, 20. Mai, um 19.30 Uhr.

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