Mannheim Musiktheater für junge Menschen: Die Qual des Wals

Schrill: die Moderatorin (Carmen Yasemin Ipek) und Walter (Thomas Jesatko).
Schrill: die Moderatorin (Carmen Yasemin Ipek) und Walter (Thomas Jesatko).

Eine Story, die reinknallt, kontrovers, auf Augenhöhe. Das braucht es, um die Generation Z in den Sog von Musiktheater zu ziehen. „Der Wal“ von Oliver Riedmüller am Nationaltheater Mannheim ist so eine Geschichte.

Der mächtige Meeressäuger würde nie in das LAB im Mannheimer Jungbusch passen. Denn das Experimentierlabor hat nur etwa 130 Quadratmeter. Nicht nur deshalb ist der Wal unsichtbar, über ihn wird nur gesprochen. Der Wal ist gestrandet, auf der Autobahn 6. Was nun tun?

Das Stück ist interaktiv, die Zuschauer sind gefordert, eine Lösung zu finden. Im schwarz getünchten Raum besetzen sie einen Stuhlkreis. In der Mitte agieren zwei Personen: Kammersänger Thomas Jesatko verkörpert Walter – ein verpeilter Politiker und Wissenschaftler. Carmen Yasemin Ipek ist eine überforderte Moderatorin.

Beide sind schrill gekleidet, in Zitronengelb mit schwarzen Pailletten. Aus dem Radio kommt die Eilmeldung vom gestrandeten Wal. Es ist Demokratietag, daher soll das Publikum als Krisenstab über das Schicksal des Tieres entscheiden, verkündet die Moderatorin. „Ihr habt die Qual der Wahl.“ Sie wirkt gestresst. Für die Naturkatastrophe auf der Autobahn gibt es keine Blaupause. Und Walter ist keine Hilfe. Er singt in kruden Reimen und ist die Karikatur eines Experten. Die Moderatorin bittet, sich in Arbeitsgruppen zusammenzutun. Sie holt Vorschläge ein: ein mobiles Aquarium; der Wal als Kunstobjekt; Seifenlauge auf der Autobahn – als Art Wal-Rutsche.

Drängende Fragen zur Zukunft

Die Situation spitzt sich zu. Der Radiosprecher sagt, dass der Wal stirbt. Es bilden sich Fäulnisgase. Der Körper bläht sich auf und droht unkontrolliert zu explodieren. Die Moderatorin tippt hektisch am Telefon die Nummern von Ordnungsamt, Abfallwirtschaft, Veterinäramt. Vergeblich, sie hängt in Warteschleifen. Walter doziert fröhlich über Entsorgungsmöglichkeiten: Die Zerlegung das Kadavers in Einzelteile? Ein monumentales Grab? Oder eine Sprengung? Wie die Dystopie endet, sei nicht verraten. Sie ist der Clou des Stücks, das eine groteske Überzeichnung von Demokratie ist. Und zugleich drängende Fragen nach der Bewahrung der Erde für kommende Generationen stellt.

Riedmüller hatte in der vergangenen Spielzeit das Libretto zu „Don Quijote und Sancho Panza“ geschrieben und dazu mit Kindern zusammengearbeitet. Dasselbe Konzept verwirklicht der Dramaturg und Kulturvermittler für Oper und Tanz am NTM jetzt mit Schülern. Jugendliche aus sechs weiterführenden Schulen waren bei der Stückentwicklung und den Proben die wichtigsten Kritiker. Denn „Der Wal“ ist so konzipiert, dass er auf Tour durch Schulen gehen kann. Daher ist die musikalische Besetzung mit Cello, Klarinette und Posaune minimal. Alexander R. Schweiß hat eine Musik komponiert, die mit Pop und schrägen Zwischentönen den Hörgewohnheiten der Generation Z nahe kommen soll.

Für Publikum ab 16 Jahren

Die Beteiligung der Oberschüler sowohl an der Produktion als auch während der Aufführungen soll bewirken, dass die angehenden Erwachsenen sich mit dem Stück identifizieren und Geschmack finden an Musiktheater. Das ist der Plan von Riedmüller und der Regisseurin Valeria Ryzhonina. Ob er aufgeht, wird sich in den kommenden Monaten erweisen. Zehn Aufführungstermine bieten sie vorerst an, vor Ort in den Schulen. Sie sind optimistisch, dass die Lehrer diese Chance wahrnehmen, denn die Kammeroper bietet brisanten Diskussionsstoff. „Sie ist eine Metapher für den Klimawandel. Für ein Naturereignis, das groß und fulminant über uns kommt“, sagt Riedmüller. Er empfiehlt das Musikstück einem Publikum ab 16 Jahren. „Denn wir glauben, das Stück passt am besten zu der Altersgruppe, die demnächst zur Wahlurne gehen darf und schon Interesse hat an demokratischen Spielformen.“

Inspiriert hat Riedmüller eine wahre Geschichte: 1970 wurde im US-Bundesstaat Oregon an der Pazifikküste ein gestrandeter Pottwal mit Dynamit gesprengt, um den verwesenden Kadaver zu entsorgen. Passenderweise ereignete sich nur eine Woche vor der „Wal“-Premiere ein Vorfall, der genau so hätte ausgehen können und der in den Medien die Runde machte: An einem Strand im australischen Perth kam ein riesiger Pottwal bis kurz vor das Ufer, drehte aber wieder ab. Ähnliche Fälle häufen sich. Naturschützer warnen, dass dies ein weiteres Zeichen für die Klimaerwärmung und Umweltverschmutzung ist.

Schultheater

Schulen können das Gastspiel „Der Wal“ buchen. Infos dazu gibt es im Netz unter nationaltheater-mannheim.de im Spielplan sowie direkt bei Oliver Riedmüller: oliver.riedmueller@mannheim.de.

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