Ludwigshafen Lügen zum Weihnachtsfest

Draußen ist Sommer, aber im Kinozelt herrscht Winter samt Weihnachtsfest und Kerzenschein. „Stille Nächte“ entführt die sonnenverwöhnten Besucher des Festivals des deutschen Films in die kalte Jahreszeit. Autor und Regisseur des wohltemperierten, tragikomischen Familienfilms ist Horst Sczerba.

Sczerba ist auch der Regisseur von „Halt mich fest!“, jenes Films, der anlässlich der Verleihung des Preises für Schauspielkunst an Anna Loos und Jan Josef Liefers ins Programm genommen wurde. Sczerba zeigt sich begeistert, dass sein bereits 15 Jahre alter Fernsehfilm, bei dessen Dreharbeiten das Schauspielerpaar sich kennenlernte, hier noch einmal ungewöhnlich großen Zuspruch fand: 2000 Zuschauer in lediglich zwei Vorstellungen. „Das muss man sich mal vorstellen! Das ist grandios!“ sagt er. Überhaupt, es sei ein tolles Erlebnis, hier zu sein. Er lobt die Offenheit, die Gespräche, die Lage am Rheinufer und nicht zuletzt die Filme. „Ich habe so ein Festival noch nie erlebt.“ Erst vor kurzem hat der 66-jährige Wahl-Kölner seinen ersten Roman veröffentlicht: „Der Sturm in meinem Kopf“. Er habe nach einer Möglichkeit gesucht, eine Geschichte zu erzählen, ohne Rücksicht auf die Zwänge, die eine Filmproduktion mit sich bringt. „Man ist freier. Man hat nicht die Schere im Kopf“, beschreibt er die neuen Erfahrungen als Buchautor. „Wobei“, fügt er an, „die Erlebnisse, die ich hier in Ludwigshafen hatte, waren dermaßen faszinierend, dass ich denke, ich werde unbedingt auch weiter Filme machen“. „Stille Nächte“ ist ein Familienfilm im Jahresrhythmus. Ein Weihnachtsfilm, der so weihnachtlich gar nicht ist. Paul (Hanns Zischler) und Clara (Katharina Thalbach), in deren Häuschen die Geschichte zum größten Teil spielt, haben nicht einmal einen Christbaum in der Stube, nur einen kleinen Lichterbogen im Fenster stehen. Erst im Jahr darauf besorgt der Sohn (Matthias Koeberlin) ihnen einen Baum, indem er diesen zwei Nikoläusen entwendet. Unehrlichkeit ist nicht unbedingt etwas Schlechtes in Sczerbas Film. Georg, der Sohn, fährt Jahr für Jahr zu den Eltern nach Pinneberg, um wenigstens Heiligabend mit ihnen zu verbringen. Es ist jährlich dasselbe Spiel: Es gibt Würstchen mit Kartoffelsalat, sie gehen in die Kirche, spielen am heimischen Esstisch eine Runde Skat, und jedes Mal bekommt Georg eine neue Krawatte geschenkt, obwohl er noch nicht einmal weiß, wie man sie bindet. Jedes Jahr auch, und darauf kommt es besonders an, bringt Georg Rita (Katharina Schüttler) mit, die Frau, von der er längst getrennt und weit entfernt lebt, er in Köln und sie in Berlin. Sie spielen den Eltern das glückliche Paar vor, dabei sehen sie sich selbst nur an Weihnachten und sprechen sich erst auf der Hinfahrt miteinander ab. „Du bist ein Feigling. Du kannst sie doch nicht ein Leben lang belügen“, meint Rita, die jedes Jahr erst aufs Neue überredet werden muss, da überhaupt mitzutun. Aber Georg befürchtet, seine Eltern zu sehr zu enttäuschen, wenn er ihnen eingesteht, dass die Beziehung mit Rita längst vorbei ist. Wenigstens am äußeren Anschein möchte er festhalten wie an den übrigen Weihnachtsbräuchen. Es ist nicht der einzige Schwindel, den er seinen Eltern auftischt. Er behauptet, er wäre Arzt und ist dabei nur Krankenpfleger. „Georg lügt, wenn er schon den Mund aufmacht“, weiß seine Mutter. „Ich möchte wissen, von wem er das hat, von mir nicht.“ Dabei lügen sie eigentlich alle, auch Rita, Paul und Clara. Mit dem Effekt, dass auch die Zuschauer mit reingezogen werden und bald nicht mehr wissen, was sie glauben können und was nicht. „Stille Nächte“ relativiert das achte Gebot. Es gibt Lügen, erzählt der Film, die um der Liebe willen oder aus Rücksicht gemacht werden. „Es ist ein Unterschied, ob man lügt, um jemanden zu betrügen oder um jemanden zu schonen“, findet Horst Sczerba. Die Wahrheit könne sehr verletzend sein. „Manche Leute verkraften sie nicht.“ Sein einfallsreicher und bis in kleine Details liebevoll gestalteter Film ist so auch ein Plädoyer für die barmherzige Lüge. „Es ist ein Liebesfilm“, fasst der Regisseur zusammen, „ein Film über die Sehnsucht nach Liebe.“ Dem Ergebnis sieht man die Erzählfreude Sczerbas an, ebenso wie man die Spielfreude der Darsteller spürt.

x