Ludwigshafen Im Denkraum

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Die Dichterin und Denkerin Monika Rinck ist 1969 in Zweibrücken geboren und lebt heute in Berlin. Im vergangenen Jahr wurde sie mit dem Kleist-Preis ausgezeichnet. Günter Bamberger meinte damals in seiner Laudatio: „Ihre Texte können alles zugleich sein: virtuos, berührend und pointenreich, humorvoll und melancholisch.“ Beim Mannheimer Literaturfestivals „lesen.hören10“ stellte sie nun im Speicher 7 ihren prämierten Essay „Risiko und Idiotie“ vor und las aus der Gedichtsammlung „Honigprotokolle“.

Der Leiter der Literaturredaktion des Hessischen Rundfunks, Alfred Mentzer, stand ihr bei der Lesung moderierend zur Seite. Angekündigt war das Duo Rinck und Mentzer im Festivalprogramm folgendermaßen: „Wollen Sie mein Idiot sein? Monika Rinck denkt laut. Alfred Mentzer denkt mit.“ Das versprach Unterhaltung im besten Sinne, doch ganz so leicht machte es Monika Rinck dem Publikum dann doch nicht. Sie begann mit einer abstrakten Begriffsdefinition von Idiotie und entwarf eine Utopie der Idiotie. Denn, so Rinck, zum Verständnis von Lyrik sei das Nichtverstehen des Idioten durchaus eine Fundgrube, die Verständnis erst ermögliche. Gerade der Ausruf des Idioten „Moment, hier ist etwas nicht zu verstehen!“ verweist für Monika Rinck auf das Unbegreifliche, das jeder Lyrik innewohnt. Zudem schreibt sie dem Idioten in einer Zeit, in der eine kritische Grundhaltung als kluge Weltanschauung gefeiert wird, eine durchaus akzeptable Haltung zu. Ein Idiot sei überdies durch sein Wohlwollen und die Preisgabe des eigenen Nichtverstehens an den Stellen, an denen er nicht zu folgen vermag, ein prädestinierter Lyrikversteher. Monika Rinck ist eine Liebhaberin von Mehrdeutigkeit. Sie eröffnet schillernde Denkräume und entspinnt eine Poetologie, in der neben der Idiotie auch die mit Übermüdung einhergehende Albernheit und das launenhaftige Diventum als Geisteshaltungen gefeiert werden. Doch der Grad der Abstraktion, in dem Rinck ihre ästhetischen Überlegungen vorträgt, geht in weiten Teilen am Publikum vorbei. Die zuweilen langen Denkpausen an für die Zuhörenden nicht immer ganz nachvollziehbaren Stellen, brachten Kleists Überlegungen über die „allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ in Erinnerung, machten aber das zuhörende Verfolgen der komplexen Satzstrukturen nicht eben leichter. Es war dann immer wieder Alfred Menzer, der Monika Rincks Gedankenschüben Einhalt gebot und um Konkretion bat. Rinck blätterte dann, leise „mmh…hmm“ summend, in ihren Gedichtbänden auf der Suche nach einem für diesen Moment geeigneten Text, und eine anregende Denk- und Sprechpause entstand. Das Gedicht „Himmelshärte“ aus den „Honigprotokollen“ entführte dann in eine eigenartig kantige Morgenschläfrigkeit, die die geronnene Lebendigkeit von in Kunstharz gegossenen Wildvögeln betrauert. In diesem Moment war Rincks Dichtung auf wunderbare Weise greifbar. Im Anschluss kehrte sie aber zum Duktus der Poetikvorlesung zurück. Sie interpretierte ihre Gedichte und gab über deren Entstehung Auskunft. Die Bilder und Stimmungen der Gedichte schwebten da noch in den Köpfen der Zuhörer. Rinck, die sich beklagte, dass sich ihre Studenten an der Uni Münster ausschließlich für den Produktionsprozess von Gedichten interessieren und quasi „unter die Motorhaube schauen wollen, ohne anschließend mitzufahren“, hat verkannt, wie bereitwillig das Mannheimer Publikum mit ihr und ihren Gedichten aufgebrochen wäre.

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