Ludwigshafen Horrornacht für zwei Personen

Spannender Schlagabtausch: Die Philosophieprofessorin Judith (Coralie Wolff ) wird von einem Polizisten (Riccardo Ibba) verhört.
Spannender Schlagabtausch: Die Philosophieprofessorin Judith (Coralie Wolff ) wird von einem Polizisten (Riccardo Ibba) verhört.

Daniel Kehlmanns „Die Vermessung der Welt“ war ein Welterfolg, sein neuer Roman „Tyll“ führt derzeit die deutschen Bestsellerlisten an. Wenig bekannt ist er als Dramatiker. Sein Stück „Heilig Abend“ hatte jetzt am Mannheimer Theater Oliv Premiere. Thema: der schleichende Abbau von Demokratie und Freiheitsrechten.

„Heilig Abend“, das klingt nach Lametta, Zimtsternen und beschaulichen Liedern. Doch statt Friede und Freude auf einem Familienfest bringt Kehlmanns Zwei-Personen-Stück eine Horrornacht auf die Bühne. An Heiligabend um Mitternacht soll eine Bombe explodieren. Anderthalb Stunden vorher nimmt ein Polizist eine Frau, die er als Attentäterin verdächtigt, in die Mangel. Die Zeit drängt, der Staatsdiener ist in seinem Verhör nicht zimperlich, doch die Verdächtige leugnet beharrlich. Er habe ein Dilemma durchspielen wollen, sagte der in Berlin und Wien lebende Schriftsteller über sein Auftragswerk für das Wiener Theater in der Josefstadt, wo „Heilig Abend“ vor einem Jahr uraufgeführt wurde. In der Verfassung garantierte Freiheitsrechte geraten in seinem Stück in Konflikt mit der Pflicht des Staates, Sicherheit und Unversehrtheit der Bürger zu gewährleisten. „Wir leben in einem Rechtsstaat. Noch sind nicht alle Regeln aufgehoben“, beschwert sich Judith, die Verdächtige, als Thomas, der Polizist, ihr unter fadenscheinigen Vorwänden den Rechtsbeistand verweigert. Und der Polizist stellt resigniert fest: „Wir sind vollkommen machtlos gegen Menschen, die bereit sind zu sterben.“ Die islamistischen Terroranschläge, aber auch der Schock über die NSA-Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden und die zunehmende Aushöhlung des Privatlebens waren Motive für Daniel Kehlmann, sein Stück zu schreiben. Der Polizist weiß genauestens über Judiths Vergangenheit Bescheid. Er hält ihr frühere Reisen mit ihrem notorisch untreuen Ehemann nach Bolivien und Chile vor, und der gemeinsame Theaterbesuch mit ihrem inzwischen geschiedenen Mann am Vortag gibt seinem Verdacht zusätzlich Nahrung. Ein weiteres Motiv, das in das Stück hineinspielt, ist Kehlmanns Empörung über die ungerechte Verteilung der Güter dieser Welt. Judith, eine Philosophieprofessorin, hat über Frantz Fanon, in den 1960er Jahren ein vielgelesener Kritiker des Kolonialismus, und seinen Klassiker „Die Verdammten dieser Erde“ geschrieben. Ihr Forschungsschwerpunkt ist strukturelle Gewalt, also Gewalt, die von der Gesellschaft und ihren Institutionen ausgeht. „Alles Lüge“, hält Judith ihrem Peiniger entgegen und erklärt ihm, warum Flüchtlinge nicht dankbar sind, wenn es ihnen gelungen ist, das gelobte Land Europa zu erreichen. In Niger zum Beispiel würden europäische Firmen Uran abbauen, das Trinkwasser sei dadurch radioaktiv verseucht, und hier nenne man diejenigen, die dieser Hölle entkommen wollten, Wirtschaftsflüchtlinge. Das Zwei-Personen-Stück ist wie geschaffen für eine kleine Bühne wie das Mannheimer Theater Oliv. Seit der Uraufführung in Wien haben es zahlreiche deutsche Bühnen auf dem Spielplan. Das Theater Oliv gehört zu den ersten. Hier bringt die Inszenierung eine Wiederbegegnung mit der Regisseurin Christine Bossert, 2015/16 für eine Spielzeit künstlerische Leiterin am TiG 7 in Mannheim, die „Heilig Abend“ allerdings recht plakativ in Szene setzt. Thomas trägt bei ihr Jeansjacke und goldene Halskette und hat mit einem Rocker mehr Ähnlichkeit als mit einem listigen Ermittler. Der Polizist verkörpert schon äußerlich die Gewalt, die er unterbinden soll. Riccardo Ibba spielt ihn von Anfang an gleich aggressiv, einschüchternd, unsympathisch, so dass im Verlauf des Verhörs keine Steigerung mehr möglich ist. Coralie Wolff als Judith in Glitzerjäckchen und hochhackigen Schuhen gibt eher das Bild einer vergnügungssüchtigen Discobesucherin als das einer linken Philosophieprofessorin ab. Und wenn auf das Stichwort „Unterdrückte dieser Erde“ kurz ein Film mit Wartenden in einer heruntergekommenen unterirdischen Straßenbahnhaltestelle in Mannheim eingespielt wird, grenzt das ans Lächerliche. Die Inszenierung mit ihrem spannenden Schlagabtausch aber ist temperamentvoll und temporeich. Nur sollte sich niemand eine Auflösung des Dilemmas versprechen. Dafür hat Daniel Kehlmann auch eine Erklärung parat: Wenn er eindeutig für eine Seite Partei ergriffen hätte, wäre sein Stück sofort in Propaganda umgeschlagen. Termine Weitere Vorstellungen im Theater Oliv in Mannheim (Am Messplatz 7) am 28. Januar und 22. Februar jeweils um 20 Uhr. Karten unter der Rufnummer 0621/8191477.

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