Ludwigshafen Guten Rutsch, Ludwigshafen!

Die Kritiker haben’s schon immer gewusst: Ludwigshafen geht baden.
Die Kritiker haben’s schon immer gewusst: Ludwigshafen geht baden.

Jede Menge Baustellen, zahlreiche Wünsche und Pläne, aber weder Geld noch originelle Ideen – und mit dem Hochstraßenabriss schwebt weiter ein Damoklesschwert über der Stadt: 2019 wird in vielerlei Hinsicht ein spannendes Jahr für Ludwigshafen. Im Vorgriff darauf ein satirischer Ausblick von Steffen Gierescher.

Januar:

Beim Neujahrsempfang am 9. Januar lässt OB Steinruck eine Bombe platzen, plitsch-platsch: Das Rathaus-Center wird durch ein Kombibad ersetzt, kündigt die Genossin an. Vom OB-Büro im Rathausturm soll die weltweit größte Wasserrutsche direkt in die Metz-Arena getaufte Aqua-Halle führen. So sichert sich Jutta die ewige Treue der FWG, deren Vorzeige-Veterinär Rainer der Verwaltungschefin auch ein Tierbecken abringt. Die Erschütterungen des Hochstraßenabrisses werden energieeffizient für ein Wellenbad genutzt. Die BASF stiftet eine CO2-neutrale Sauna samt Panoramafenster, von der aus der Stadtrat bei der halbjährlich eingeführten Schwitzersitzung die Entwicklung der City West beobachten kann. Aufgusschef wird Thomas Schell. Die heißen Kommentare des Liberalen sollen alle auf Betriebstemperatur bringen. Die AfD muss das Schauspiel vom türkischen Dampfbad aus verfolgen – falls sie bei der Kommunalwahl im Mai in den Stadtrat einzieht. Nicht abgesprochen ist die Investition mit Andi, dem neuen Kämmerer, der das Ganze so kommentiert: Ich sehe Schwarz. Ihr werdet euer blaues Wunder erleben, prophezeit der Rote den Grünen, die hinter dem Kombimodell stehen, weil mit dem Rad Anreisende umsonst reinkommen. Bei der Stadtmeisterschaft im Hallenfußball am 19. Januar feiert der Videobeweis Premiere. Alle Schiris laufen mit Bodyguard aufs Parkett. Februar: Wo das neue Rathaus entstehen soll, ist offen. Fest steht, dass Alexander Osang dort ein Zimmer beziehen wird. Als Ludwigshafener Turmschreiber soll der „Spiegel“-Autor ein Leitbild für die Stadt entwerfen. Er pendelt fortan zwischen Tel Aviv und dem Hemshof. Im Sommer 2020 soll er Michael Cordier als Stadtmarketingchef beerben. Auf dem Online-Portal „Hol die OB“ meldet sich Thorsten Portisch zu Wort. Ihm sei im Wahlkampf 2017 ein Posten im Rathaus versprochen worden. Steinruck vertröstet den ehemaligen OB-Kandidaten mit einem Job in der Metz-Arena: als Bademeister, weil er zuletzt ja weitgehend abgetaucht sei. Portisch gründet frustriert eine neue Partei: die AFP, Alternative für Portisch. Die gleichnamige Nachrichtenagentur grätscht gerichtlich dazwischen. Portisch schwenkt um und nennt die Gruppe fortan PFP: Parkinsel für Portisch. Osang will er dazu bewegen, in die Hafen- statt in die Prinzregentenstraße zu ziehen. Doch der mag’s lieber miefig als piefig. Bei der Altweiberfasnacht am 28. Februar erscheint die Edelfeder als Pissbahnhof verkleidet mit einer Abrissbirne als Kopfbedeckung. Motto: „Sagen, was (und wie es) ist.“ März: Bei der zweiten Veranstaltung von „Sporteln in der Familie“ am 10. März taucht überraschend Günther Tetzner auf – und präsentiert mit Qatar Sports Investments einen neuen Finanzpartner fürs Bauprojekt „Metropol“, das in „Metro“ umgetauft wird. Chef des Unternehmens ist nämlich Nasser Al-Khelaifi, dem der Fußballnobelclub Paris St. Germain (PSG) gehört. Am Berliner Platz schwebt ihm ein Geschäftshaus in Form des Eiffelturms vor. Der Deal dahinter mit der Stadt klingt attraktiv. Für einen reibungslosen Verkehr bei der Wüsten-WM im eigenen Land will Al-Khelaifi das komplette Hochstraßengeflecht aufkaufen, dessen Sanierung inzwischen mehr kostet als der Bau der Elbphilharmonie. Rainer Metz trotzt dem Milliardär ein vergoldetes Abkühlbecken für die Saunalandschaft ab. Zur Einweihung hat sich PSG-Ass Neymar angesagt. Aufgussmeister Schell kündigt daraufhin an, dass er keine Warmduscher betreut. Portisch will Ortsvorsteher in Süd werden. Osang steigt ein ins Football-Leaks-Team seines Ex-Arbeitgebers und enthüllt in der Woche der Brüderlichkeit – „Skandal: Schwalbenkönig will sich ohne Eintritt in Metz-Arena dribbeln.“ Die Grünen schenken Neymar ein Fahrrad. April: Kein Aprilscherz – bei der Sportlerehrung am 12. April wird Marathon-Mann Dieter Feid zum Top-Athleten gekürt. Begründung: Der frühere Kämmerer hat sich rasend schnell aus dem Staub gemacht, als das Angebot der Technischen Werke lockte. Neymar überreicht ihm die Trophäe: ein goldener Sparstrumpf. Feid versteigert ihn auf Ebay und rettet damit das Gründerzentrum Freischwimmer. Mit seinem Parteikollegen Wolfgang van Vliet – früher Sozialdezernent, seit anderthalb Jahren Chef der Wohnungsbaugesellschaft GAG – gründet TWL-Didi den Club der Abtrünnigen. Constanze Kraus – einstige CDU-Hoffnung, nun ebenfalls bei der GAG in Lohn und Brot – tritt als erste Frau bei. Mai: Sensation bei der Kommunalwahl. Die AfD gewinnt zwei Ortsvorsteherposten, obwohl sie keine Kandidaten aufgestellt hat. Im Stadtrat platzt die große Koalition, die Grünen stellen jetzt die Mehrheit. Ihr Motto: Umwelt first, Vetternwirtschaft vorbei. Sie setzen durch, dass aus dem Stadtvorstand keiner mehr in eine Tochtergesellschaft wechseln darf. Der Club der Abtrünnigen reagiert empört. Beim Hanami-Festival treten die Mitglieder als „Die Unbestechlichen“ auf. Juni: Der Monat des Stillstands. Aus Spargründen werden das Park- wie auch das Stadtfest abgesagt. Bei einer Durchschnittstemperatur von 42 Grad genehmigt sich der Stadtrat erstmals hitzefrei. Kommentar der sechs Mann starken und wütend protestierenden AfD-Fraktion: Wir haben’s schon immer gewusst – die „Altparteien“ haben alle einen Schatten. Ins Metz-Bad wollen die Rechtspopulisten nur Gästen mit deutschem Pass freien Eintritt gewähren. Das türkische Dampfbad erklären sie zur No-go-Area. Neymar jubelt angesichts der südamerikanischen Temperaturen in der Vorderpfalz und erwirbt vier Villen am Luitpoldhafen. Vor der Rhein-Galerie eröffnet das Winterdorf. Wurde aber auch Zeit. Juli: Beim Straßentheaterfestival erntet Günther Tetzner die meisten Lacher für seine „Metropol“-Metapher am Berliner Platz: Er tritt als seriöser Investor auf. Das Areal wird zur Baustelle des Jahrzehnts gekürt. Turmschreiber Osang dichtet: „Inmitten dieser schönen Stadt, ein Loch sich tief gegraben hat. Das trifft den Kern, wie’s Volk vermutet – die Politik kapituliert, das Zentrum blutet.“ Autsch! August: Zum Auftakt des Filmfestivals am 21. August präsentiert Direktor Michael Kötz den inzwischen in der Nachbarschaft lebenden Neymar als Stargast. Die Doku über den Profikicker – „Eine Schwalbe macht noch keinen Kultursommer“ – wird mit Pfiffen quittiert. Mittlerweile werden die Besucher mit Flusskreuzfahrtschiffen direkt ans Rheinufer gebracht. Von dort führt sie ein als „Walk of Fame“ vermarkteter Steg in die Kinozelte, denn: Alle Brücken auf die Parkinsel sind gesperrt, weil sie saniert werden müssen. Ein gewisser Stefan Dolch schlägt vor, am Berliner Platz ein Gebäude in Form der Pegeluhr zu bauen. Der hat doch nicht mehr alle Zeiger im Ziffernblatt, kommentiert das die AfD. Der neue Süd-Ortsvorsteher Portisch will im Stadtpark Kunstrasen verlegen und dort zwischen den Festivaltagen eine mobile 18-Loch-Golfanlage errichten lassen. Als Sportvorstand schlägt er den beim 1. FCK gefeuerten Martin Bader vor, weil der nun das größte Handicap habe. Ehrenmitglied im Club der Schlagfertigen wird Nasser Al-Khelaifi. September: Die Ausbildungsmesse Sprungbrett wird in den Erlebnistag im Wildpark Rheingönheim integriert. Motto: Von Tieren lernen oder wie man den Bock zum Gärtner macht. OB Steinruck zeigt sich gnädig mit einer ABM-Maßnahme und ernennt den inzwischen arbeitslosen CDU-Bundestagsabgeordneten Torbjörn Kartes zum Fahrradbeauftragten der Stadt. In Berlin ist sein von Jens Spahn unterstützter Putsch-Versuch gescheitert: „AKK“ bleibt Vorsitzende der Union. Die genervte Parteichefin schickt Torbi zurück nach saarländisch Sibirien, wie Kramp-Karrenbauer die Pfalz verspottet. Der angezählte Kartes rettet sich mit Merz Spezial Dragees über die Runden. Dem Ludwigshafener Fraktionschef Peter wird übel, als er davon beim Landesposaunentag der Evangelischen Landeskirche erfährt. Oktober: Zum 40. Jubiläum wird dem Wilhelm-Hack-Museum eine neue Hülle verpasst. Die Miró-Kacheln werden händisch abgekratzt und stückweise veräußert. Mit den Einnahmen werden die Kosten getilgt, um die nun doch vom Land verordnete Eingemeindung der Stadt Frankenthal zu stemmen. Deren Noch-OB Martin Hebich bringt Amazon als Sponsor ins Spiel. Museumsleiter René Zechlin ist geschockt und verbarrikadiert sich zum Hungerstreik ausgerechnet im „Hausboot“. Die Festspiele Ludwigshafen, die am 17. Oktober beginnen sollten, fallen unter dem Eindruck dieser Ereignisse ins Wasser. Pfalzbau-Theater-Intendant Tilman Gersch erklärt sich solidarisch mit Zechlin. Osang wird melancholisch: „Die Kunst und der Kommerz – als Paket versandt ist das ein denkbar schlechter Scherz.“ November: Fünf Monate nach der Kommunalwahl steht die neue grün-rot-rote Rathaus-Koalition: Grüne, SPD und Linkspartei haben hinter verschlossenen Türen im Maudacher Schloss hart um ein Bündnis gerungen. Sie beschließen, dass nur noch E-Autos in der City verkehren dürfen. Neymar wird enteignet, Tetzner zu Al-Khelaifi in die Wüste geschickt.  Dezember: Eine alte Debatte flammt wieder auf. Die neue Mehrheit im bald zur Metz-Arena umfunktionierten Rathaus verfügt, dass die Abfahrtsröhre in die Tiefe „Helmut-Kohl-Rutsche“ getauft wird. Der Turmschreiber ist fassungslos: „Ludwigshafen geht endgültig baden“, titelt Osang. Und mit Blick auf 2020: „Guten Rutsch!“

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