Ludwigshafen Glücksfall Gersch

Ich bin ein großer Fan von Tilman Gersch, der seit bald zwei Jahren Intendant im Ludwigshafener Theater im Pfalzbau ist. Im Januar 2015 hat der aus Berlin stammende Regisseur seine Arbeit am Pfalzbau begonnen und dem großen Haus mit der riesigen Bühne in kurzer Zeit ganz wunderbar seinen Stempel aufgedrückt. Die vielen unterhaltsamen, nachdenklich machenden und manchmal auch etwas sonderbaren Theaterabende, die ich seither im Pfalzbau erlebt habe, haben mich reicher und glücklicher gemacht. Und wenn ich das große Publikum beobachte, das Gersch mit Gastspielen des Deutschen Theaters Berlin und jüngst des Hamburger Thalia Theaters in sein Haus lockt, weiß ich, dass es nicht nur mir als leidenschaftlicher Germanistin so geht. Ich bin sehr froh, dass Tilman Gersch ein Ludwigshafener geworden ist. Am vergangenen Sonntagabend sind die zwölften Ludwigshafener Festspiele nach knapp zwei Monaten mit einem Besucherrekord zu Ende gegangen. Wie immer hat Tilman Gersch die Zuschauer persönlich begrüßt und den umjubelten Schauspielern am Ende der Vorstellung auf der Bühne Blumen überreicht. Wie schon bei der Eröffnung der Festspiele Mitte Oktober gab es fürs Publikum zu später Stunde noch einen stimmungsvollen Sektempfang samt Künstlergespräch im Gläsernen Foyer und für die Akteure des Hamburger Thalia Theaters ein warmes Abendessen. Aus Theaterkreisen ist zu hören, dass es sich längst nicht nur beim Publikum der Metropolregion herumgesprochen hat, dass die Theateratmosphäre in der Stadt am Rhein dank des 51-jährigen Intendanten eine ganz besondere ist. Große deutsche Schauspieler kommen daher neuerdings immer wieder gern in den Ludwigshafener Pfalzbau zurück. Der Theater-Klassiker „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett in der Inszenierung von Stefan Pucher am Sonntagabend war für meinen lieben Mann und mich ein grandioser Höhepunkt der Theatersaison 2016. Ähnlich gut gefallen hat uns auch Bertolt Brechts „Dreigroschenoper“, die Anfang November in der Inszenierung von Antú Romero Nunes zu sehen war. Um nur zwei Glanzlichter von vielen zu nennen. Etwas gefremdelt haben wir dagegen mit dem Eröffnungsstück „Schnee“ nach einem Roman des türkischen Literaturnobelpreisträgers Orhan Pamuk, das Ersan Mondtag auf die Bühne gebracht hatte. Das Drama, das in einer ostanatolischen Stadt spielt, in der es ununterbrochen schneit, hat uns ratlos gemacht. Quälende Minuten lang wartete der voll besetzte Theatersaal am Ende der Aufführung darauf, dass die Schauspieler sich von einer großen Tafel erheben und dem Spuk durch ihre Verbeugung ein Ende bereiten. Vergeblich. Noch bis Mitternacht haben wir schließlich darüber diskutiert, ob wir als Publikum versagt haben und uns deutlicher hätten einbringen müssen. Schließlich war es ein Trost zu hören, dass das Publikum in der Weltstadt Hamburg auch nicht anders als wir in der Provinz reagiert hat. Die Gespräche mit Dramaturgen, Regisseuren und Schauspielern vor und nach den Aufführungen tragen oft zum besseren Verständnis von Details der Inszenierungen bei. Manchmal werden dabei auch längst verstorbene Autoren regelrecht wieder lebendig, so wie bei der Einführung zur „Dreigroschenoper“, als der Zuschauer den Eindruck hatte, der junge Bertolt Brecht höchstpersönlich stehe mit seinen Manuskripten auf der Bühne. Über eine Kleinigkeit ärgere ich indes bei fast jeder Aufführung. Sobald der letzte Vorhang fällt, stürmen einzelne Zuschauer in Richtung Ausgang, ohne den Künstlern auch nur einen Hauch von Applaus zu spenden. Theaterkritikern mag man das gerade noch zugestehen. Für alle anderen gehört sich das einfach nicht. Die Kolumne Fünf Redakteure berichten für die RHEINPFALZ über Ludwigshafen. Ihre Erlebnisse aus dem (Arbeits-)Alltag nehmen die Redakteure in der Kolumne „Quintessenz“ wöchentlich aufs Korn.

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