Ludwigshafen „Gewinn für die Demokratie“

Fast 10.000 Türken leben in Ludwigshafen. Sie stellen die größte ausländische Gemeinde in der Stadt. Die Parlamentswahlen am Sonntag in der Türkei wurden hier aufmerksam verfolgt. Das Ergebnis wurde als Schlappe für Präsident Recep Tayyip Erdogan bewertet. Wir haben vier Ludwigshafener mit türkischen Wurzeln zum Wahlergebnis gefragt.

Hasan Özdemir ist mit dem Wahlausgang sehr zufrieden. Für den Ludwigshafener Schriftsteller zeigt das Ergebnis die „sehr positive Veränderung in der Türkei“. Dass Präsident Erdogan und seine Regierungspartei AKP die absolute Mehrheit verloren haben, wertet er als einen „Gewinn für die Demokratie“. Der 51-Jährige ist froh darüber, dass nun die Kurdenpartei HDP ebenfalls im Parlament sitzt – eine Partei, die nicht nur die Interessen der Kurden, sondern vieler Gruppen vertrete. Die Konstellation für eine Koalition der AKP mit einer der anderen Parteien findet der Lyriker schwierig. Auch Cem Cantekin ist einverstanden mit dem Resultat. „Das Volk will Demokratie und Vielfalt im Parlament und hat das Präsidialsystem von Erdogan gestoppt“, sagt der 27-jährige Informatik-Student, der Vorsitzender des Ludwigshafener Beirats für Integration und Migration ist. Die Eltern des SPD-Politikers stammen aus der Türkei, haben kurdische Wurzeln. Dass nun die HDP im Parlament in Ankara vertreten ist, freut Cantekin: „Sie vertritt alle Mehrheiten in der Türkei – und das ist sehr positiv.“ Denn das türkische Volk bestehe nicht nur aus Sunniten, auch Jesiden, Aleviten oder Aramäer gehörten dazu. Die AKP müsse sich kompromissbereit zeigen, um eine Koalition zu bilden – sonst könne es zu Neuwahlen kommen. „Ich finde das Wahlergebnis toll. Der Alleinherrschaftsanspruch von Erdogan ist gebrochen“, sagt Ibrahim Yetkin (53), der für die Grünen im Stadtrat sitzt. Die demokratischen Strukturen in der Türkei hätten nun mehr Gewicht bekommen. Mit dem Einzug der HDP ins Parlament würden auch Minderheiten künftig stärker berücksichtigt, das fördere den inneren Frieden. „Ein Mehrparteiensystem ist besser als ein Ein-Parteien-Staat“, sagt Yetkin. Ediz Sari, aus Ludwigshafen stammender Fußballtrainer des TDSV Mutterstadt, ist extra in seine Heimatregion am Schwarzen Meer geflogen, um die Wahlen „als neutraler Beobachter und bekennender Türke hautnah“ zu verfolgen. „Jeder kann mit dem Ergebnis zufrieden sein“, sagt der 45-Jährige. Auch Erdogan? „Ja“, meint er. „Vielleicht hat er gelernt, dass nicht alle auf seiner Seite sind und er etwas ändern muss. Es ist wichtig fürs Land, dass die AKP künftig nicht mehr alleine regieren kann.“ (mix/evo/ier/Archivfotos: Kunz/privat/rhp)

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