Ludwigshafen „Ganz große Seelenmusik“

Den Premierenreigen in der Oper des Nationaltheaters eröffnet heute Abend ein Werk, das erstmals in Mannheim zu sehen ist. „La Wally“ von Alfredo Catalani entstand nach dem Heimatroman „Die Geierwally“ der österreichischen Autorin Wilhelmine von Hillern. Alois Seidlmeier dirigiert; Regie führt Tilman Knabe, der mit Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, Wagners „Lohengrin“ und Puccinis „Mädchen aus dem goldenen Westen“ wiederholt Aufsehen erregte.

Catalanis Bühnenwerke können als Bindeglied zwischen Verdis und Puccini Musiktheater gelten. Sie hatten unter mehreren Aspekten die Form der italienischen Oper erneuert. Das Prinzip der Nummernoper wurde abgelöst durch jenes der durchkomponierten Struktur, der Orchesterpart nach Wagners Vorbild aufgewertet. Als literarische Vorliegen wurden bevorzugt mittel- und nordeuropäische Stoffe verwendet wie im Falle der beiden Hauptwerke Catalanis: „Loreley“ und „La Wally“. Der äußerst patriotisch gesinnte Verdi, der die italienische Musik vor jedem fremden Einfluss bewahren wollte, hatte allerdings die Uraufführungserfolge der beiden genannten Opern höchst misstrauisch beäugt, Catalani „Verfremdung und Germanisierung der italienischen Oper“ vorgeworfen und „La Wally“ als „deutsche Oper ohne Gefühl und Inspiration“ abgekanzelt. Der vermutlich von ihm angeregte Boykott des Ricordi Verlags hatte dann wesentlichen Anteil daran, dass Catalanis Werke nach den anfänglichen Erfolgen von den italienischen Spielplänen verschwanden. Bei Verdi ist allerdings nach dem frühen Tod Catalanis offenbar ein Sinneswandel eingetreten: In einem posthumen Wiedergutmachungsakt hat er in seiner Villa in Sant’Agata eine Büste von ihm aufgestellt. Gustav Mahler führte dagegen „La Wally“ schon ein Jahr nach der Mailänder Uraufführung von 1892 in Hamburg auf und erklärte, sie „ist die beste italienische Oper, die ich jemals dirigiert habe“. Arturo Toscanini seinerseits war zeit seines Lebens ein unermüdlicher Förderer von Catalanis Oeuvre. Tilman Knabe befindet sich also in keiner schlechten Gesellschaft, wenn er von einem „grandiosen Stück mit herrlicher Musik“ schwärmt. Besonders die Vorspiele zu den beiden letzten Akten seien „ganz große Seelenmusik“. Seinen Blick auf die Oper richtet der Regisseur aus moderner Sicht: Er versteht sie als „tief trauriges Stück über eine Frau, die sich emanzipieren will und dabei kläglich scheitert“. Der Plot: Die Tiroler Bauerntochter Wally weigert sich, die Ehe mit dem Verwalter Gellner einzugehen, zu der sie ihr Vater zwingen will, denn sie liebt den Jäger Hagenbach. Sie flieht in die Berge, kehrt dann im zweiten Akt nach dem Tod des Vaters als reiche Erbin in ihr Dorf zurück. In einem Streit beleidigt sie Afra, die vermeintliche Verlobte Hagenbachs, und wird daraufhin von diesem öffentlich verspottet. In ihrem Zorn verspricht Wally Gellner, ihn zu heiraten, wenn er Hagenbach umbringt. Der willigt ein, von Reue ergriffen, rettet aber Wally Hagenbach und flüchtet wieder in die Berge. Dort wird sie von Hagenbach aufgesucht: Versöhnung große Liebe. Allerdings ohne Happy End, denn auf dem Heimweg ins Dorf finden beide den Tod in einer Lawine. In einer zweiten Fassung, die auch in Mannheim gezeigt wird, verunglückt nur Hagenbach, dem Wally dann freiwillig in den Tod folgt. Knabe entdeckt in „La Wally“ eine neuartige Dramaturgie mit filmischen Schnitten und Simultanhandlungen. Genau genommen handele sich bei der vieraktigen Oper um vier Einakter. „Jeder Akt“, erklärt Knabe, „ist in sich geschlossen, jeder stellt einen Lebensabschnitt der Titelgestalt dar.“ Die Mannheimer Inszenierung ordnet die vier Akte Zeitepochen der jüngeren Vergangenheit und der Gegenwart zu: Der erste Akt spielt in der Zeit der 1968er Studentenbewegung, im zweiten befindet man sich im kalten Wirtschaftsklima der Ära Thatcher und Reagan in den 1980er Jahren, der dritte Akt spielt zur Jahrtausendwende, der letzte in der Gegenwart. Für alle vier Akte verspricht Knabe „große szenische Opulenz“.

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