Ludwigshafen Energiebündel am Pult

Sein letztes Mannheimer Schlosskonzert in dieser Saison hat das Kurpfälzische Kammerorchester unter der elektrisierenden Leitung einer Dirigentin bestritten. Die in der litauischen Hauptstadt Vilnius geborene Mirga Grazinyté-Tyla gehört zu den meist gefragten Vertretern der jungen Dirigentengeneration.

Mit knapp 30 Jahren übernahm sie vor anderthalb Jahren die Leitung des City of Birmingham Symphony Orchestra in der Nachfolge von Größen wie Simon Rattle, Andris Nelsons und Sakari Oramo. Ein schwindelerregender Aufstieg in die weite Musikwelt: von Osnabrück, über Bern, das Salzburger Landestheater und Heidelberg, wo die Dirigentin von 2011 bis 2013 verpflichtet war und große Aufmerksamkeit erregt hatte. Eine Aufführung von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ mit unverwechselbarem Profil blieb nachhaltig in der Erinnerung haften. Heute feiert Mirga Grazinyté-Tyla in der ganzen Welt Erfolge. Das Konzert des Kurpfälzischen Kammerorchesters hatte sie auf Einladung von dessen Chefdirigenten Johannes Schlaefli, einem ihrer Lehrer, übernommen. Die Verlängerung ihres Zunamens Grazinyté durch Tyla ist übrigens Programm: Auf Litauisch bedeutet das Wort Stille oder Schweigen. In Mannheim beglaubigte Grazinyté-Tyla glanzvoll ihren frühen Ruhm: Sie offenbarte eine elementare Musikalität, ein unerhört vitales Temperament und einen in jedem Moment präsenten unbändigen Willen zum Formen. Die Dirigentin ließ nicht nur musizieren, sie lebte vielmehr in der Musik und kommunizierte ihre Begeisterung mit beredter, suggestiver, aufwendiger Gestik. Gleich zu Beginn, bei den ersten Takten von Mendelssohns Konzert in d-Moll für Violine und Streichorchester, einem im Alter von 13 Jahren entstandenen Jugendwerk, wurden die Zuhörer im Rittersaal hingerissen durch das zündende Brio und die eruptive Intensität der Klangrede. Derselbe überschwängliche Impuls prägte auch die Aufführung von Haydns Sinfonie Nr. 7 in C-Dur, „Midi“ (Mittag), die durch Prägnanz der Akzentuierungen, durch Reichtum an Klangfarben und Kontrasten beeindruckte. Das Energiebündel am Pult zeichnete gestisch jede noch so kleine Einzelheit der Phrasierung, Artikulation, Dynamik, Ausdrucks- und Farbgebung in unbestechlicher Klarheit nach. Das Kurpfälzische Kammerorchester folgte ihr hochkonzentriert und zeigte bemerkenswertes spielerisches Potenzial. Besondere Anerkennung gebührt dabei den Beiträgen der Soloinstrumentalisten in Haydns Sinfonie. Ein Ereignis für sich bildete Konzertmeister Frank Stadlers Solo im Mendelssohn-Konzert. Nach der Pause gab es dann Raritäten: „Savajoné (Traum oder Träumerei), eine spätromantische, melancholisch schmachtende Elegie von Grazinyté-Tylas Landsmann Juozas Naujalis (1869-1934), und „Bruderschaft“ für Viola, Klavier und Streicher des zeitgenössischen georgischen Komponisten und Dirigenten Vakhtang Kakhidze. Das im Auftrag des russischen Bratschisten Jurij Baschmet entstandene und Gattungsgrenzen sprengende Stück lebt von populären, folkloristischen und Jazzelementen. Es setzt vor allem auf improvisatorische Momente sowie Geräusche verschiedenster Art, erscheint kurzweilig, effektvoll und löste in Mannheim Beifallsstürme aus. Bei der Pianistin Onuté Grazynité und dem Bratschisten Milan Radic befanden sich die Solopartien in zuverlässigen Händen.

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