Ludwigshafen „Eine Art Lichtablagerungsstätte“

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Kein Leben ohne Kunst, hat er gesagt. Der Konstruktivist László Moholy-Nagy (1895 bis 1946) war Maler, Grafiker, Fotograf, Designer, schuf Bühnenbilder und Lichtskulpturen, war Autor und Lehrer. Von künstlerischen Erstgeburtsrechten hielt er wenig. Dass er auch seine eigenen Arbeiten kritischen Revisionen unterzog, zeigt im Wilhelm-Hack-Museum die im Rahmen der „Zoom“-Reihe aufgelegte Ausstellung zu seinem um 1922 entstandenen Gemälde „Konstruktion“. Eine kleinteilige Recherche mit Überraschungen.

Das Ludwigshafener Bild fällt in eine für den von einem universalen Kunst- und Medienverständnis beseelten Künstler wichtigen Zeit. 1921 war er über Wien nach Berlin gekommen, inhalierte alles, was die unruhige Kunstszene der Metropole ihm bieten konnte, hatte Kontakt zu Raoul Hausmann, Kurt Schwitters und El Lissitzky, stürzte sich in die große Auseinandersetzung mit dem russischen Konstruktivismus. Zwei Jahre später berief Walter Gropius Moholy-Nagy als Nachfolger von Johannes Itten ans Bauhaus, wo er bis 1928 den berühmten Vorkurs und die Metallwerkstatt betreute. Malen stand bei dem von der Gleichwertigkeit der Disziplinen (Malerei und Film, Skulptur und Fotografie, Zeichnung und Fotogramm) überzeugten Humanisten weit weniger im Vordergrund, als auf die Malerei des Konstruktivismus fokussierte Museumsgänger meinen möchten. Bilder definierte Moholy-Nagy einmal als „eine Art Lichtablagerungsstätte“ – und Licht war das große Thema des aus Ungarn gebürtigen Autodidakten. Während eines Fiebertraums, 1917 im Lazarett, ereilte ihn eine Vision vom Licht, dem „totalen Licht“, das den „totalen Menschen“ schafft. Das klingt heutzutage befremdlich in seinem steilen Pathos, gehört aber zu den zeittypisch-überspannten Übertreibungen einer Künstlerschaft, die (noch) an Fortschritt, Glück und die Potenziale der richtigen Anwendung von Technologie durch die Kunst glaubte. Von riesigen Lichtskulpturen erhoffte er sich die Wiederbelebung des barocken Festes. Das Bild „Komposition“ frappiert erst einmal durch seinen kunstvoll-lebendigen Einsatz diaphaner Flächen und Elemente. Das Bild gehört in die für Moholy-Nagys Entwicklung eminent wichtige Reihe der „Glasarchitekturen“ der frühen 1920er Jahre. Die Wirkung der einander überlagernden, fast unfarbig-kargen Linien, Vierecke und Halbkreise in vielerlei Grau ist von jener ruhig schwebenden Transparenz, die selbst Verächter süchtig machen könnte. Datierung, Bildtitel, Entstehungsort (Atelierwohnung in der Lützowstraße) und Erstbesitzer (der Galerist Herbert von Garvens) sind durch die akribischen, zum Teil durch kluge Konjunktive offen gehaltene Recherchen von Kuratorin Nina Schallenberg gesichert. Spannend ist die Tatsache, dass „Komposition“ genaugenommen kein Solitär ist, sondern in drei nicht deckungsgleichen „Fassungen“ vorhanden ist. Neben dem Ludwigshafener Bild gibt es das Motiv als Lithographie in Moholy-Nagys sogenannter „Kestner-Mappe“ von 1923 und als offenbar stark retuschierte Abbildung in der dem Schaffen des Künstlers gewidmeten Ausgabe der Zeitschrift „telephor“ von 1936. Lithographie wie Zeitschrift wurden für die Ausstellung aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt. Was natürlich die alte Frage vom Huhn und vom Ei und wer zuerst da war und das zum Handwerk des Kunsthistorikers gehörende Aufdröselungsgeschick auf den Plan ruft. Womit nun allerdings schon aus Platzgründen auf den wohlgelungenen kleinen Katalog verwiesen werden muss, nebst der Versicherung, dass die Lektüre des kleinen Kunstkrimis gar nicht langweilig ist. Unbedingt dem aufmerksamen Leser zu empfehlen ist auch die maltechnische Analyse des Restaurators Herbert Nolden, die zwischen „Bildträger“ und „Aufspannung“ bis „Verleimung“ und „Grundierung“ keinen vernünftigen Wunsch offen lässt: Wieder ein Beweis dafür, dass nächst dem Maler der Restaurator derjenige ist, der das Bild am besten kennt. Und dass selbst Klassiker der Moderne noch für Überraschungen gut sind. Als Pendant zur Ludwigshafener „Komposition“ hat man sich aus Wiesbaden Moholys eher bunt wirkende „Glasarchitektur III“ (1920/21) ausgeliehen, hauseigene Referenzbilder von Kasimir Malewitsch, El Lissitzky, Wobbe Alkama, Lajos Kassák oder Max Burchartz markieren das künstlerische Umfeld, in dem sich das Ludwigshafener Bilder mehr als nur behauptet. Öffnungszeiten Wilhelm-Hack-Museum in Ludwigshafen bis 15. November, geöffnet Dienstag, Mittwoch und Freitag von 11-18 Uhr, Donnerstag 11-20 Uhr, Samstag und Sonntag 10-18 Uhr. Katalog 20 Euro. Die Eröffnung der Ausstellung ist heute um 19 Uhr.

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