Ludwigshafen „Ein Glücksfall für den Verein“

Einen offiziellen Posten habe sie nicht, sagt Tülin Bicer. Aber den braucht sie auch nicht. Die 36 Jahre alte Türkin ist beim VfR Friesenheim das „Mädchen für alles“. Sie kümmert sich seit sechs Jahren in erster Linie um die Jugend und die Anhänger. Neudeutsch könnte man sie als Fan-Beauftragte bezeichnen.

Egal, ob bei der Stadtmeisterschaft in der Eberthalle oder bei Spielen der Ersten Mannschaft: Die VfR-Fans sind nicht zu überhören, feuern lautstark ihre Truppe an. „Wichtig ist, dass das eigene Team unterstützt und nicht der Gegner beleidigt wird“, nennt die patente Frau ein Grundprinzip. Sie hat nicht nur die jungen Fans unter ihren Fittichen, sondern ist auch für die in den Vereinsfarben Grün, Weiß und Schwarz gehaltenen Fan-Artikel wie Fahnen, Aufkleber, Schlüsselanhänger, Kappen, Tassen oder Regenschirme zuständig. Bicer war auch dafür verantwortlich, dass die Jugendspieler an Weihnachten einen Vereinsschal geschenkt bekamen. „Ein Glücksfall für den Verein“, sagt Vorsitzender Günther Henkel. Die 36-Jährige, die beim VfR von allen nur „die Tülin“ genannt wird, ist sich für keine Aufgabe zu schade. „Ich sitze auch mal sonntags bei den Heimspielen im Kassenhäuschen, wenn einer fehlt“, sagt die Türkin und lacht. Ein Wochenende ohne den VfR sei schlichtweg nicht vorstellbar, „da muss schon was Dramatisches passiert sein.“ Dabei hat die schlagfertige Frau, die in Friesenheim geboren und aufgewachsen ist, eigentlich genug um die Ohren. Sie führt die Bücher von Ehemann Ülker, der eine Gerüstbau-Firma betreibt. Beide Familien stammen aus Yozgat, einer Stadt in der Nähe von Ankara. Kennengelernt haben sich Tülin und ihr Mann aber erst in Ludwigshafen. Und dann gibt es da noch drei Kinder, die ihre Mutter ebenfalls beanspruchen. Tochter Aysenur ist kürzlich 18 geworden, Sohn Ertugrul ist 16 und Nesthäkchen Oguzhan ist seit Kurzem elf Jahre alt. Während ihr Ehemann meist den ältesten Sohn, der Schiedsrichter ist, zu Spielen begleitet, schauen Tülin Bicer und der Rest der Familie bei den Partien des VfR zu. „Meine Tochter und der kleine Sohn, der in der E1 spielt, gehen mit der Jugendkasse um den Platz und sammeln“, erzählt die Mutter. Wie sehr sie am Verein hängt, belegt folgende Geschichte: Als Tochter Aysenur eines Samstagsabends ins Krankenhaus eingeliefert wurde, blieb Tülin über Nacht bei ihr. Als es am Sonntag auf 15 Uhr zuging, sagte die Tochter, es gehe ihr schon besser und die Mutter könne unbesorgt zum Spiel gehen. Hilfsbereitschaft ist für die Türkin aus Friesenheim, deren Bruder Tuncay Betreuer beim TDSV Mutterstadt ist, kein Fremdwort. Als ein Jugendtorwart nur einen Handschuh eingepackt hatte, fuhr sie ins Clubhaus des VfR und organisierte einen zweiten. „Der war zwar etwas zu groß, aber es ging“, erzählt sie schmunzelnd. Und wer fuhr nach Hause und holte die Schienbeinschützer ihres Sohnes, weil ein D-Jugend-Spieler seine vergessen hatte? Tülin Bicer, wer sonst. Bicer trägt zwar ein Kopftuch, ist aber eine moderne Muslimin. „Bei uns zu Hause wird mal türkisch, mal deutsch gesprochen. Die Kinder sollen beide Kulturen kennenlernen“, betont sie. So gibt es an Weihnachten zwar keinen Baum, die Kinder bekommen aber ebenso Geschenke wie an Ostern. „Wir feiern aber auch die türkischen Feste“, verdeutlicht Bicer. Die Eltern stellen es dem Nachwuchs frei, ob er im Fastenmonat Ramadan fastet oder nicht. Berührungsängste kennt sie nicht. Sie könne mit den Spielern der „Ersten“ auch mal das VfR-Nationalgetränk „Eulen-Power“, eine Wodka-Waldmeister-Mischung, trinken, jedoch auch in einer Moschee sitzen und beten. „Das Leben ist ein Geben und Nehmen. Wie ich mit den Menschen umgehe, so gehen die mit mir um“, hat die Friesenheimerin erkannt. Integration müsse man aktiv betreiben. Ihren Landsleuten empfiehlt sie, unter Menschen zu gehen, Kontakte zu pflegen und „nicht nur im türkischen Supermarkt einzukaufen“. Entscheidend sei die Sprache. „Viele haben Angst zu reden“, glaubt Bicer, die heute noch für ihre schlecht Deutsch sprechende Mutter dolmetscht. „Das ist ein Generationenproblem. Meine Eltern waren nie bei einem Elternabend in der Schule. Bei uns ist das anders“, erklärt sie. Zurück zum VfR. Vier- bis fünfmal pro Woche ist Bicer auf dem Sportplatz. „Bevor ich daheim sitze, unterhalte ich mich lieber dort und schaue, wo ich mich nützlich machen kann“, sagt sie. Und sollte Ihnen bei einem Spiel des VfR eine Frau auffallen, die ihr Team besonders lautstark anfeuert, dann ist das bestimmt Tülin Bicer.

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