Ludwigshafen Derbes Schuhwerk statt zarter Poesie

Eric Trottiers Trilogie „No Control“ gehört zum Innovativsten, was die freie Tanzszene im Südwesten zu bieten hat. Das Theater Felina-Areal in Mannheim zeigte sie komplett in zwei Staffeln. Sprache und Tanz, Alltagsoptik und Theaterkunst, Bühnen- und Zuschauerraum wirbelt Trottier durcheinander. Das wirkt wild, oft lustig, spannend, intensiv.

Der gebürtige Kanadier kam unter Philippe Talard zum Ballett des Nationaltheaters. Als Tänzer und Choreograf lebte er dann in Bonn. Vor zwei Jahren kehrte er nach Mannheim zurück, gründete sein La Trottier Dance Collective und begann die Arbeit an der Trilogie. Im Oktober letzten Jahres schloss er sie mit „Moira“ ab. Mit dem gleichen Produktionsteam und nach einer Umbesetzung des mittleren Teils „Vertigo“ auch den gleichen Interpreten: Katharina Wiedenhofer und Tobias Weikamp sowie Michelle Cheung in den Trio-Stücken „Chaos“ und „Moira“. „Chaos“ wurde mit dem Stuttgarter Tanz- und Theaterpreis ausgezeichnet. Trottier besitzt einen eigenen Humor, wie er, zumal bei Choreografen, eher selten anzutreffen ist. Ein Umkippen des Existenziellen in Komik bestimmt Rollengestaltung, Situationen und Texte. Diese hat Trottier selbst verfasst und lässt sie – prinzipiell, sagt er – von den Interpreten in deren jeweiliger Muttersprache sprechen, also hier überwiegend in Deutsch. Da Englisch die internationale Ballettsprache ist, darf Tobias Weikamp es manchmal deutsch radebrechen. „No Control“ beleuchtet das Leben nämlich aus der Perspektive des Bühnenkünstlers, die für Trottier eine „philosophisch-politische“ ist. Die Situationen, die er dazu ersonnen hat, sind theatral, ironisch selbsthinterfragend und mit Spaß serviert. „Chaos“ beginnt mit der Zahlendemonstration einer Chaostheorie, die mittels Zufall seltsame Fügungen hervorbringt, am Ende gar einen Hauptgewinn im Lotto. Weikamp schreibt und redet, die beiden Zahlenfeen halten Tafeln hoch und lächeln. Statt einer Bühne haben die Zuschauer herumstehende Stühle zu einer ungeordneten Runde aufgestellt. Die Akteure tauchen im Publikum ab, robben zwischen Beinen hindurch, rücken Zuschauern maskenhaft lächelnd oder hektisch brabbelnd auf die Pelle. Sie umrunden die Zuschauerschar oder suchen sich Tanzorte in deren Mitte. In „Vertigo“ (medizinisch: Schwindel) startet der Tänzer als Entertainer, die Tänzerin als Model. Die Bühne ist ein Laufsteg, auf dem sie sich inszenieren. Die Zuschauer sitzen zu beiden Seiten dicht am Geschehen, so dass anfangs Beklemmung, dann rauschhafte Teilnahme aufkommt. An den Enden des Laufstegs bewegen sich Tänzerin und Tänzer, jeder für sich in einem Lichtkegel, in kraftvoll abgestemmten Drehungen am Boden, die für Trottier charakteristisch sind. In einem zwanghaften Sog streben sie zueinander und voneinander fort. „Moira“ (griechisch: Schicksal) beginnt und endet mit Klagegeschrei über eine entlaufene Katze. Dann öffnen sich die schwarzen Vorhänge zur Bühne zwischen den einander gegenüber sitzenden Zuschauern. Aus Paletten bauen die Tänzer Szenerien: Sockel, um sich bedeutungsvoll oder grotesk zu erheben; einen Käfig, in den eine eingesperrt ist, während das Paar darauf tanzt; einen Tunnel, den sie durcheilen; ein Schiff, auf dem sie durchgeschüttelt werden. „Sie selbst sind die Katze“, erläutert Eric Trottier, „aber sie merken es nicht.“ Die auf den Tanz abgestimmte elektronische Musik schuf der Bonner Komponist Jörg Ritzenhoff in Form von Modulen. Trottier baute diese zu einer Komposition zusammen, die er während der Vorstellung live einspielt. Er steuert so Dauer und Intensität der Tanzsequenzen. Sein Bewegungsvokabular macht keinen Unterschied zwischen Mann und Frau, ist sportlich wie die derben Schuhe, die alle tragen. Nichts von zarter Poesie und filigraner Arabeske, sondern Power, Ironie, athletische Höchstleistung, schauspielerische Präsenz.

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