Ludwigshafen Der Putin-Versteher

„Deutschland to go“ heißt Mathias Richlings vor drei Jahren erschienenes Buch. „Deutschland to go“ heißt auch sein Bühnenprogramm, mit dem er seit einem Jahr unterwegs ist und das er nun in der Kleinen Komödie in Limburgerhof in einer aktualisierten Version vor nicht ganz ausverkauftem Haus zeigte. Der Titel klingt zwar nach Abschied und Auswanderung, doch der schwäbische Kabarettist ist in seinem Herzen natürlich Deutschland-Fan.

Es sieht nach Flughafen aus. Auf der Bühne stapeln sich Koffer in allen Farben. Ein paar stehen in Reih und Glied und bilden eine schwarz-rot-gelbe Einheit (Gold war offenbar nicht erhältlich). Mit einem blauen Koffer stürmt Mathias Richling auf die Bühne und begrüßt sein Publikum sogleich mit einem überbordenden Wortschwall. „Red’ ich eigentlich zu schnell, oder geht’s grad noch?“, fragt der Zappelphilipp nach einer Weile scheinheilig und entschuldigt sich: „Ich kann nicht anders, sonst schlafe ich selbst ein.“ Nach Klagen über bürokratische Überreglementierung, Zerfall der Demokratie und fehlendes Wir-Gefühl ist das Stichwort gefallen: Politik als Schlaftablette. „Deutschland sucht Politiker“ nennt Richling seine Casting-Show, in der er machen kann, was er am liebsten macht und am besten kann: Politiker karikieren. Den Anfang macht Regierungschefin Angela Merkel hinter einem schwarzen Koffer als Rednerpult. Die SPD-Führung strahlt hinter einem roten Koffer ebenfalls satte Zufriedenheit aus: „Wir wollten fünftstärkste Partei werden, und das haben wir geschafft!“ freut sich Steinmeier. „Wir haben, hat Willy Brandt immer gesagt, vom Wahlkampf noch Kugelschreiber und Luftballons übrig.“ Als stärkste Schlaftablette aber wirft sie einen auf dem letzten Loch pfeifenden Heiner Lauterbach ein: „Ich kenne mich aus mit Gesundheit, ich war selbst einmal gesund.“ Hinter einem gelben Koffer tritt in Ermangelung junger charismatischer FDP-Nachwuchskräfte Hans-Dietrich Genscher auf, verdächtigt sächselnd die Wähler, seiner Partei Stimmen gestohlen zu haben. Aus einem grünen Koffer holt der Kabarettist schließlich als Cem Özdemir jede Menge grüne Pullover und sagt: „Jeden von uns Grünen können sie wenden und auch wieder auftragen.“ Joschka Fischer war früher Atomkraftgegner, neuerdings berät er Atomkonzerne. Auch die Medien haben nach Ansicht des Kabarettisten eine Mitschuld an der Banalisierung der Politik. Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Kretschmann erweist sich als Spielverderber, als er auf die Frage des Interviewers, was er nach dem Wahlsieg gefühlt habe, unerwartet einfach und ehrlich antwortet: „Freude!“ Kanzlerin Merkel gibt lieber keine Antwort und holt sich wie in einer Rateshow einen Joker zu Hilfe: „Ich frage jemanden aus dem Publikum!“ Wolfgang Schäuble darf im Plauderton Sozialhilfeempfänger beleidigen, und Klaus Wowereit sagt, er habe überhaupt erst durch die Medien erfahren, dass in Berlin ein Flughafen gebaut werde. Weil die Zeit für Kabarettisten besonders schnelllebig ist, hat Richling in sein Programm ein paar Aktualisierungen eingestreut. Oder hat er auch vor einem Jahr schon Islamisten im Publikum gewarnt, man könne den Frauen das Wahlrecht nicht mehr entziehen? „Und bei selbstständigem Lachen und Klatschen können wir Frauen nach der Vorstellung auch nicht steinigen“, fügte er noch hinzu. Trotz vieler bekannter Gags hat sich im Saal wohl keiner gelangweilt. Dafür hat das Publikum viel gelacht und geklatscht. Geklatscht hat es sogar so viel, dass Mathias Richling sich zu zwei Zugaben gezwungen sah. Die Sketche waren auch nicht neu, aber sie waren das Beste des ganzen Abends: Ein Gespräch zwischen den beiden SPD-Altkanzlern Helmut Schmidt und Gerhard Schröder, das diese in ihrer ganzen selbstgerechten Eitelkeit entlarvte, und ein Gespräch zwischen Angela Merkel mit dem russischen Präsidenten Putin, vermittelt über einen Dolmetscher. Was da unter Diplomaten alles nicht gesagt wurde, aber in Richlings Fantasie-Russisch an Emotionen hörbar wurde, das war schon enorm. Richling entpuppte sich hier als wahrer Putin-Versteher.

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