Ludwigshafen/Mannheim Das Nationaltheater präsentiert eine spannende „Carmen“ im Pfalzbau

Szene aus der Mannheimer „Carmen“.
Szene aus der Mannheimer »Carmen«.

Die Inszenierung der Oper „Carmen“ von Georges Bizet stammt aus dem Jahr 2019. Yona Kims Regie räumte so ziemlich mit allen Klischees rund um diesen Welterfolg auf, dessen Melodien selbst jene Menschen kennen, die nicht regelmäßig in die Oper kennen. Ab Freitag zeigt das Nationaltheater Mannheim diese „Carmen“ im Ludwigshafener Pfalzbau.

Georges Bizets Oper „Carmen“ gehört ja zu den Dauerbrennern des Repertoires, Jahr für Jahr steht sie in der Werkstatistik des Deutschen Bühnenvereins auf einem der vorderen Plätze jener Opern mit den meisten Aufführungszahlen. „Carmen“ zieht immer, Bizets Melodien sind auch jenen vertraut, welche die Oper als Ganzes vielleicht noch gar nicht auf der Bühne erlebt haben. „Carmen“ ist schlichtweg unverwüstlich.

Ein Welterfolg, unverwüstlich

Ein Welterfolg, zwar noch nicht bei ihrer Uraufführung 1875 in Paris, aber schon sehr bald danach. Allerdings erlebte der Komponist diesen Triumph nicht mehr. Bizet starb mit gerade einmal 36 Jahren. Doch die Beliebtheit der Oper führt natürlich auch zu Erwartungshaltungen beim Publikum. Viele haben ihre eigene „Carmen“ im Kopf. Das Stück erfreut sich bei den Massenfestspielen zwischen Finnland und Süditalien größter Beliebtheit. Weil man so viele schöne bunte Bilder produzieren, großartig und üppig ausgestattete Massenszenen arrangieren kann: Arbeiterinnen in einer Zigarettenfabrik, die Kompanie der Soldaten, die Szene in der Stierkampfarena. In „Carmen“ scheinen viele Spanien-Klischees eins zu ein in Musik umgesetzt worden zu sein. Ganz schnell kann so etwas auch in Kitsch abrutschen, vergleichbar mit Richard Wagners „Die Meistersinger von Nürnberg“, wenn manche Regisseure in ihren Inszenierungen eine Fachwerkhaus-Romantik auf die Bühne bringen, die ein vergangenes Nürnberg behaupten, das es so nie gegeben hat.

Das Mannheimer Nationaltheater präsentierte im Dezember 2019 eine „Carmen“-Inszenierung von Yona Kim, die diese Erwartungshaltungen quasi alle enttäuscht – und gerade deshalb einen spannenden, aufregenden Opernabend mit zahlreichen Überraschungen bietet. Diese Produktion wird nun im Ludwigshafener Pfalzbau gezeigt. Die Wiederaufnahmepremiere ist am Freitag, Mannheims Generalmusikdirektor Roberto Rizzi Brignoli wird dirigieren. Xavier Moreno singt den Don Josè, Shachar Lavi übernimmt die Titelpartie, als Escamillo und Micaela werden Nikola Diskić und Zsuzsanna Adám auf der Bühne des Pfalzbaus zu erleben sein.

Ohne jeden Folklorismus

Regisseurin Yona Kim deutet das allzu bekannte Stück neu, und ihr gelingt eine so schlüssige wie spannende Lesart des Opernklassikers. Sie treibt der „Carmen“ all die Klischees, jeden Folklorismus aus. Die Spanien-Bilder in unseren Köpfen werden demontiert. Kein Realismus, kein Exotismus, kein Folklorismus. Spanien, das einst so ferne, dunkel lockende Land der Sehnsucht an der Grenze zum Kontinent Afrika, wird komplett ausgeblendet. Wäre die Musik nicht, man könnte glauben, man sei im Heiner-Müller-Stück „Quartett“ gelandet, das sich ja bekanntermaßen auf den Briefroman „Gefährliche Liebschaften“ von Choderlos de Laclos aus dem Jahr 1782 bezieht.

Und um gefährliche Liebschaften geht es schließlich auch in „Carmen“. Um die fatale, ja tödliche Macht der Liebe, der Leidenschaften. Die Mannheimer „Carmen“ ist ein Versuchslabor. Herbert Murauer hat einen klinisch-kalten, Bühnenraum errichtet. Die Kostüme von Falk Bauer sind zeitgenössisch. Nirgendwo Zigeuner- oder Spanienromantik. Es geht um das Personen-Quartett Carmen, Don José, Micaela, Escamillo. Um die Spielarten der Liebe, von der ebenso schwärmerischen wie offensichtlich auch berechnenden bei Micaela über die gewissenlos genießende bei Escamillo bis zur leidenschaftlichen bei Don José. Bliebe die Liebe Carmens. Bei der Premiere 2019 sang Jelena Kordic die Titelpartie, dabei eine kühl-überlegene Erotik versprühend, so dass man sich fragte: Kann so jemand überhaupt lieben?

Kann Carmen wirklich lieben?

Und es ist ja auch völlig richtig, ob, und wenn ja, wen Carmen liebt, bleibt bei Bizet stets offen. Sie wird begehrt, bewundert, vergöttert, bedrängt, Carmen ist eine Projektionsfläche der unter ihrer Triebunterdrückung leidenden Gesellschaft. Und sie genießt diese Rolle – bis sie Don José trifft und sich für einen kurzen Augenblick das Fenster zu einem neuen Leben öffnet. Für einen Augenblick, den sie ebenso verpasst wie Don José. Am Ende steht fast schon grausam logisch ihr Tod. Das Feuer, das sie in Don José entfacht hat, vernichtet sie. Und sie weiß das, vielleicht schon seit dem Moment ihrer ersten Begegnung.

Im zweiten Teil kippt dann das zunächst kühl analytisch und realistisch wirkende Geschehen ins Alptraumhafte. Das besagte Versuchslabor hat dazu geführt, dass sich das Unterbewusstsein der Personen Bahn bricht nach außen. Wir erleben den Abgrund, den die Liebe in unserer Seele aufreißen kann. Und dann kommt es zu einem überraschenden Ende, das erneut den Erwartungshaltungen des Publikums zuwiderläuft.

Wer die Produktion also 2019 nicht gesehen hat, der kann sich auf eine spannende, sehr heutige „Carmen“ freuen. Und wer sie bereits gesehen hat, den zieht es vielleicht in den Pfalzbau, um die Inszenierung mit anderen Sängern und einem anderen Dirigenten zu erleben.

Termine

„Carmen“ im Ludwigshafener Pfalzbau: 23., 25., 28. Februar; 1., 3., 6. März.

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