Ludwigshafen „Damals waren wir die Bösen“

Im Zentrum der Pro Familia-Arbeit stehen seit über vier Jahrzehnten Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind und über eine Abtreibung des Kindes nachdenken. 500 bis 540 wenden sich in diesem Konflikt jährlich an die Ludwigshafener Pro Familia, wie Geschäftsführerin Pia Hardt berichtet. Die Zahl sei seit Jahren konstant. Es handele sich keineswegs nur um ganz junge Frauen, wie die Psychologin ergänzt. Im Gegenteil: Der Anteil der Frauen zwischen 18 und 30 sei in etwa ebenso groß wie derjenigen zwischen 38 und 50. Knapp 5000 Menschen hat die Ludwigshafener Pro Familia im vergangenen Jahr mit verschiedenen Einzel- und Gruppenangeboten erreicht. 1400, vor allem Frauen, haben die fünf Sozialarbeiterinnen, Pädagoginnen und Psychologinnen am 230 Quadratmeter großen Standort am Theaterplatz beraten, über 2000 Gespräche geführt. Neu im Aufgabenkatalog sind seit vergangenem Jahr die Beratung ehemaliger Heimkinder und die Antragstellung von Mitteln aus dem Fonds Heimerziehung. Trotzdem müssen die rheinland-pfälzischen Schwangerenberatungsstellen sich ab 2015 auf Stellenkürzungen einstellen, weil die Landesregierung Einsparungen plant. Ob und in welchem Umfang die hiesige Beratungsstelle davon betroffen sein wird, sei derzeit noch offen, sagen Hardt und Gerd Itzek, seit zweieinhalb Jahren Vorsitzender des Trägervereins. Der Diplom-Finanzwirt, der 25 Jahre lang für die SPD im Ludwigshafener Stadtrat gearbeitet hat, seit 1983 Landtagsabgeordneter und bis 2006 Landtagsvizepräsident war, ist ein Glücksfall für die Pro Familia, wie Pia Hardt lächelnd erzählt. Denn auch wenn er sich aus der politischen Arbeit in Mainz zurückgezogen hat: Gute Kontakte habe er immer noch in die Landeshauptstadt. Und diese Lobby sei mit Blick auf die derzeit diskutierten Kürzungspläne sehr wichtig. Dem Pro Familia-Trägerverein ist Itzek bereits 1973 als junger Politiker und Familienvater beigetreten. „Weil ich von der Arbeit der Beratungsstelle schon damals überzeugt war“, wie sich der 66-Jährige erinnert. Er sei von der Studentenbewegung in den 1960er-Jahren geprägt worden. Daher sei das Engagement für die Gleichstellung der Frau für ihn immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Und daran habe sich auch über die Jahrzehnte nichts geändert. Es gebe immer noch sehr viel zu tun, findet Itzek. Die Probleme seien nicht weniger geworden, sondern hätten sich ein wenig verschoben. Inzwischen gehe es in den jungen Familien vor allem um die Vereinbarkeit von Familienleben und Beruf. Ebenfalls seit der ersten Stunde engagiert sich Ingrid Burlafinger für die Beratungsstelle. Inzwischen ist die Sozialarbeiterin Schatzmeisterin im Trägerverein. Durch ihren Einsatz Anfang der 70er-Jahre im Pro Familia-Landesverband in Mainz sei die Einrichtung des Ludwigshafener Standorts erst ermöglicht worden, schildert Pia Hardt. Mit einer halben Stelle habe Burlafinger dann Ende der 70er-Jahre mit Schwangeren- und Eheberatung in der Stadt begonnen und zeitweise zusammen mit einer Frauenärztin sogar kostenlos die Pille verteilt. „Damals waren wir für viele noch die Bösen“, erinnert sich Burlafinger. Es habe viele ideologische Kämpfe gegeben, sagt die 70-Jährige. Hinzugekommen seien Demonstrationen unter dem Motto „Mein Bauch gehört mir“ und die legendäre Titelgeschichte des Magazins „Stern“: „Wir haben abgetrieben“. Für Burlafinger haben sich die Probleme der Frauen bis heute nicht grundlegend verändert. „Aber heute trauen sich Frauen eher, über ihre Schwierigkeiten zu reden, sich Rat und Unterstützung zu suchen.“ Aber das Kerngeschäft der Pro Familia ist immer noch dasselbe. Teilweise, so sieht es die Altriperin, sei die Gleichstellung auch aus dem Ruder gelaufen. Früher seien die Frauen bei Scheidung deutlich besser geschützt gewesen, weil es einen Unterhaltsanspruch für Frauen mit Kindern gegeben habe. Inzwischen habe die Frau nicht nur das Recht, sondern vielmehr die Pflicht, arbeiten zu gehen und selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Auch wenn sie nebenher noch Kinder erziehen und einen Haushalt versorgen müsse. Die Pro Familia ist nicht nur für Frauen in Schwangerschaftskonflikten Ansprechpartner, sondern auch für Lehrer und Schüler, für Menschen mit Behinderungen oder Paare mit Problemen. Der soziale Beratungsbedarf rund um die Themen Schwangerschaft, Elternschaft, Sexualität und Geburt sei in jüngster Zeit stark angestiegen, fasst Pia Hardt die Entwicklung zusammen. Die Beratungsstelle sei in der Stadt gut vernetzt. Seit zwei Jahren arbeitet die Pro Familia etwa mit dem Marienkrankenhaus bei dem Projekt „Guter Start ins Kinderleben“ zusammen und berät zum Beispiel Frauen, die unter sogenannten Wochenbettstörungen leiden. Die Klienten der Beratungsstelle stammen nicht nur aus der Chemiestadt, sondern auch aus dem Rhein-Pfalz-Kreis, Worms/Alzey, Speyer, Neustadt, Frankenthal und sogar aus Kaiserslautern. Vielen Menschen in Not sei die Anonymität der Großstadt wichtig, erklärt Hardt. Die Wormserin hofft daher, dass die personelle Ausstattung der Pro Familia-Beratungsstelle trotz drohender Kürzungen erhalten werden kann.

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