Ludwigshafen „Am besten, man entschuldigt sich gleich“

Ludwigshafen. Matthias Hetzel ist seit knapp 30 Jahren als Handball-Schiedsrichter aktiv, zwölf Jahre pfiff er Spiele in der Ersten und Zweiten Bundesliga. Im Interview spricht der Edigheimer über Kabinenbesuche, Fehlentscheidungen und deren Folgen sowie die Zeichensprache auf dem Feld.

Herr Hetzel, Sie haben Anfang des Jahrtausends 45 Bundesliga-Begegnungen gepfiffen. Wie gut kennt man da die Stars?

Man hat Spieler wie Christian Schwarzer, Markus Baur oder Michael Kraus quasi zum Weltmeistertitel 2007 begleitet. Ich will jetzt nicht sagen, man kennt sich. Aber wenn man sich jetzt über den Weg läuft, dann weiß man, wer der andere ist. Welcher Spieler ist Ihnen am meisten in Erinnerung geblieben? Kretzsche (Stefan Kretzschmar, Anm. der Redaktion) ist eine Hausnummer. Sein Auftreten, sein Umgang. Er war schon damals eine Koryphäe. Nicht nur als Spieler, auch als Typ. Haben Sie mit solchen Spielern auch mal negative Erfahrungen gemacht? Jeder von diesen Typen ist ein emotionaler Charakter. Aber man hat sich nie so zerstritten, dass es nicht funktioniert hat. Manchmal kam es zu einer Aussprache nach der Partie. Die Spieler sind dann zu Ihnen in die Kabine gekommen? Das gab es auch. Aber meistens hat man das noch auf dem Spielfeld geklärt. Man muss das als Schiedsrichter offensiv angehen. Bei einem Zweitligaspiel zwischen Düsseldorf und Melsungen lagen mein Partner Jochen Fischer und ich in der ersten Halbzeit völlig daneben. Als wir aus der Kabine kamen, standen die beiden Trainer schon mit einer Körpersprache auf dem Spielfeld, die gezeigt hat, was los ist. Ich bin dann auf sie zugegangen, habe gesagt, dass wir fehlerhaft gepfiffen haben und uns verbessern wollen und werden. Dann waren sie zufrieden.Gibt es Fehlentscheidungen, an die Sie sich noch erinnern? Ich kann mich an kein Spiel erinnern, wo die ganze Halle auf dem Spielfeld stand und tobte. Wegen eines Fehlers von uns ist jedenfalls nie jemand abgestiegen. Jeder Fehler ist unglücklich und sollte vermieden werden, trotzdem passieren in jedem Spiel Fehler. Es gibt Momente, da stehst du da und weißt sofort, dass du falsch entschieden hast. Da ist es dann am besten, man macht eine entschuldigende Geste in Richtung der Mannschaft, die man benachteiligt hat. Solche Fehler dürfen halt nicht zu oft passieren. Nach dem zehnten Mal macht sonst nämlich die ganze Bank deine entschuldigende Geste nach. (lacht) Haben Sie jemals nach einem Spiel schlecht geschlafen? Ja, einmal. Aber nicht wegen meiner Leistung, sondern weil ich mir eine Zerrung zugezogen hatte. (lacht) Als Sie in der Bundesliga gepfiffen haben, gab es noch keine Headsets für die Schiedsrichter wie heute. Wie haben Sie sich verständigt? Durch Mimik, Gestik, Zeichensprache. Man steht ja 20 Meter voneinander entfernt. Der Feldschiedsrichter ist zum Beispiel oftmals so mit dem Spiel beschäftigt, dass er ein mögliches Zeitspiel der angreifenden Mannschaften nicht wahrnimmt. Da gibt ihm dann der Torschiedsrichter ein Zeichen, dann hebt man sofort die Hand und zeigt Zeitspiel an. Warum sind Sie Schiri geworden? Das war in meiner ersten Saison in der A-Jugend. Ich habe damals beim TV Edigheim gespielt und in jedem Spiel eine Zeitstrafe bekommen, weil ich mich über eine in meinen Augen falsche Entscheidung des Schiedsrichters beschwert habe. Dann habe ich entschieden, ich kann das besser. Und ein paar Jahre später war aus einem Hobby eine zeitintensive Tätigkeit geworden … Ein Bundesliga-Schiedsrichter beschäftigt sich an fünf von sieben Tagen die Woche mit Handball. Die Wahrnehmung vieler, dass man ja „nur“ jeden Samstag ein Spiel zu leiten hat, ist nicht richtig. Ein Schiedsrichter auf diesem Niveau trainiert wöchentlich wenigstens zweimal, analysiert die Aufnahmen seiner eigenen Spiele und bereitet sich auf das kommende vor. Darüber hinaus referiert er vor anderen Gruppen, etwa Schiedsrichtern im eigenen Landesverband. Für einen Spielauftrag, zum Beispiel in Stralsund, wendet man bis zu zwei Tage auf. Die Partnerin ist demnach auch nicht immer glücklich, wenn man dauernd unterwegs ist. Der Arbeitgeber vermutlich auch nicht. Kein Arbeitgeber wird sagen, schön, dass Sie in Deutschland rumfahren und nicht da sind. Ich musste pro Saison immer um die 15 Tage Urlaub nehmen wegen Spielen unter der Woche und Lehrgängen. Zweimal im Jahr zwei Wochen Urlaub nehmen, mehr war da nicht drin. Warum macht man es dann? Weil man den Sport liebt. Man priorisiert halt. Ich habe mit meinem Partner Jochen Fischer vor jeder Saison überlegt, lassen es Job und Familie zu, dass wir weitermachen. Deshalb sind wir 2004 auch freiwillig in die Zweite Liga zurück. Damals gab es noch eine zweigleisige Spielklasse, da waren die Wege in der Südstaffel nicht so weit, höchstens 300 Kilometer. Das war dann an einem halben Tag und einer halben Nacht machbar.

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