Ludwigshafen Wie der Duft einer Sommerwiese

Das Theater Thikwa aus Berlin hat vor einem nicht voll besetzten Mannheimer Eintanzhaus ein Gastspiel gegeben. In ihrem inklusiven Stück „Die Butterblume des Guten“ wirkten Behinderte und Nichtbehinderte mit. Insgesamt war es ein mehr als überzeugendes Stück eines Ensembles, das nicht laut sein muss, um seine Stimme zu erheben.

Stimmen. Das Wort kommt einem als erstes in den Sinn. Sie ertönen aus dem Off und erklingen einzeln. Immer einer erzählt von sich, ein, zwei Sätze, ob man manchmal in starker Anspannung sei, oder, ganz anders, das Gefühl habe, ein Geschenk zu sein. Diese Stimmen sind so ruhig und fein und ehrlich, dass man sich am liebsten mit einem Satz anschließen möchte. Man fängt an, nachzudenken, während der Blick schweift und man die Aufführung genießt. Die meisten haben in ihrem Alltag nicht diese Stimmen um sich. Die Sprache, die sie tragen, kämpft sich bei manchen richtig durch bis zum einzelnen Wort, oder sie bleibt immer ein wenig verwaschen. Das ist manchmal schwer verständlich. Macht aber nichts. Der Fluss aller Stimmen betört nach kurzer Zeit wie der Duft einer Sommerwiese und verlässt einen bis zum Schluss dieser großartigen, so harmonisch komponierten Performance nicht, die im Eintanzhaus ihre Premiere erlebte. Das Theater Thikwa wurde in diesem Jahr als eines von elf Theatern in Deutschland mit dem Theaterpreis des Bundes ausgezeichnet. 1990 gegründet, bezeichnet es sich als künstlerisches und soziales Experiment mit behinderten und nichtbehinderten Künstlern. Das von seinen Mitgliedern und Martin Clausen gemeinsam kreierte Stück „Die Butterblumen des Guten“ ist eine Art Auftragsarbeit innerhalb des interdisziplinären und inklusiven Kooperationsprojektes „Gewächse der Seele“, an dem sich mehrere Institutionen aus dem Rhein-Neckar-Raum, unter anderem Zeitraumexit, das Wilhelm-Hack-Museum und die Sammlung Prinzhorn beteiligen. Als Inszenierung gleicht das Stück einem herrlich phantasievoll, mit vielen Mustern gewebten Teppich, der gleichwohl doppelbödig ist: als Bild der Gesellschaft zeigt er sehr wohl, was unter ihn gekehrt wird. Andeutungen, Verweise reichen in dieser so präsent gespielten „ekstatischen Séance“, als die ihre Schöpfer das Stück auch bezeichnen, aus, um die Gedanken in Gang zu halten. Zum Lachen bringt die ironische Anspielung auf Charles Baudelaires Gedichtband „Die Blumen des Bösen“, der die Entfremdung des Großstadtmenschen vom Dasein zelebriert, im Titel des Stücks. Das Theater Thikwa scheint das Gegenteil zu leben, und das macht „Hoffnung“, so die Bedeutung des hebräischen Namens. Einen roten Faden bildet die Pflanzenwelt, die mit großer Konsequenz als treffsichere Parabel auf die Welt ausgespielt wird. Kunstrasenstücke wahlweise als Yogamatten oder Grabstellen, Vasen und ein überdimensionaler Blumentopf, aus dem nackte Füße und Hände als Keimlinge emporragen, bestücken das schlichte Bühnenbild, in dem die siebenköpfige, in farbige Kostüme gekleidete Gruppe herumgeht, tanzt, schwingt, rennt, spielt und vor allem spricht: als Rätsel der Besonderheit jeder einzelnen Blume, sei es die Sonnenblume, sei es die Lilie; als Dialog über die Gewalt des Menschen gegenüber den Pflanzen, indem er zwischen Nutz- und Zierpflanzen unterscheidet; als Spiel um eine fleischfressende Pflanze, der man am liebsten all jene zum Fraß geben würde, die einem das Leben schwer machen, auch wenn die Künstler hier zurückzucken, denn das Aussortieren von Menschen gab es ja schon einmal in Deutschland. Die Szenenwechsel verlaufen geschmeidig, getragen von einem grandiosen Gefühl für das richtige Timing.

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