Ludwigshafen Kunst in Katakomben

„Eine Methusalemtante“ sei sie mittlerweile, sagt sie selbst. Die heute 98-jährige Mannheimerin Gerda Lambrecht arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg für die US Army in Heidelberg. Im „Labor für Weitsicht“ in der Mannheimer Kunsthalle las sie aus ihren Erinnerungen „Auf einmal bei den Amerikanern!“.

„Mein Elternhaus auf der Ludwigshafener Parkinsel war bereits seit 1943 durch Brandbomben zerstört“, erinnert die Seniorin. Ihr Vater habe anschließend in seinem Betrieb in der BASF übernachten können, ihre Mutter sei bei Verwandten untergekommen und sie selbst bei Freunden in Heidelberg. Nach Kriegsende wurde sie Dolmetscherin bei der amerikanischen Militärregierung vor Ort und bald darauf versetzt zur „Fine Arts and Monuments Section“. Die Aufgabe dieses besonderen Departments bestand darin, zu prüfen, ob Kunst und andere Wertgegenstände, die sich in deutschem Besitz befanden, rechtmäßig oder möglicherweise durch Enteignung, Zwangsverkauf oder auf anderen illegalen Wegen erworben worden waren. Landesweit seien etwa 350 Kunstexperten im Auftrag der amerikanischen Armee im Einsatz gewesen, die entscheiden mussten, ob es sich um Raubkunst handelte oder nicht. Im Kern habe das Department das gleiche Ziel verfolgt wie die „Monuments Men“ in George Clooneys gleichnamigem Kinofilm von 2014. Lambrecht: „Die wahre Geschichte verschwindet natürlich unter sehr viel Hollywood.“ So dramatisch und riskant wie im Spielfilm sei es in ihrer Arbeit nicht zugegangen, „sehr aufregend und bewegend“ sei sie gleichwohl gewesen. Lambrecht kam mit großen Werken und außergewöhnlichen Menschen in Berührung. „Viele Fälle kamen aus Mannheim und Ludwigshafen“, berichtet die alte Dame, weil die beiden Städte durch die Fabriken besonders von Bombenangriffen betroffen gewesen seien. Zahlreiche Kunstwerke, auch Möbel, Musikinstrumente oder Teppiche seien vorsorglich in die geschützten „Katakomben“ im Innern des Heidelberger Gaisbergs gewandert und wurden nach Kriegsende von den Amerikanern überprüft. Für sie selbst seien es unvergessliche Erlebnisse gewesen, originale Werke von Gustave Courbet, Camille Corot oder Otto Dix aus allernächster Nähe zu sehen. Leider umfasst ihr Büchlein „Auf einmal bei den Amerikanern! Fine Arts and Monuments Woman“ keine 50 Seiten und skizziert nur die Erlebnisse, die Lambrecht erinnert. In Wirklichkeit werden es viel mehr gewesen sein, die es sicher verdient hätten, ausführlicher behandelt zu werden. Bei der Lesung ging es der Initiatorin Annika Wind und dem Kunsthallen-Kurator und Provenienzforscher Mathias Listl in einem öffentlichen Gespräch weniger um Lambrechts Zeitzeugenschaft als vor allem um die Geschichte der von den Nazis als „entartet“ diffamierten Kunst. Die Kunsthalle, so Listl, war eines der Museen, das unter den Beschlagnahmungen im Dritten Reich am stärksten gelitten hat. Die laufende Ausstellung „(Wieder-) Entdecken – Die Kunsthalle 1933 bis 1945 und die Folgen“ befasst sich damit.

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