Ludwigshafen Gott ist nicht schuld

Wollte eine moderne Variante von Voltaires berühmtem satirischen Roman „Candide“ schreiben: Jonas Lüscher in Ludwigshafen.
Wollte eine moderne Variante von Voltaires berühmtem satirischen Roman »Candide« schreiben: Jonas Lüscher in Ludwigshafen.

Jonas Lüscher, in Zürich geboren und in Bern aufgewachsen, hat für seinen Roman „Kraft“ im vergangenen Jahr den Schweizer Buchpreis bekommen. Nun, da sich die zahlreichen Lesereisen des 41-Jährigen in Deutschland und im Ausland dem Ende zuneigen, hat er das Buch in der Reihe „Autoren bei Bloch“ im Ludwigshafener Ernst-Bloch-Zentrum vorgestellt.

Wie stellt sich heutzutage die uralte, die Menschen bewegende Frage nach dem Bösen und den Übeln in einer doch von einem gütigen Gott geschaffenen Welt? Schon in vorchristlichen Zeiten war Platon der Meinung, Gott sei unschuldig, und Leibniz gab im 18. Jahrhundert seine berühmte Antwort von der bestmöglichen aller geschaffenen Welten. Dessen Beweis nach reinen Vernunftprinzipien brachte Voltaire bekanntlich dazu, dem deutschen Gelehrten seinen Roman „Candide“ entgegenzuhalten. Darin schickt der große Spötter einen jungen naiven Mann in Begleitung eines Leibniz-Anhängers durch sämtliche Höllen dieser Welt: Liebeskummer und Krankheiten, Erdbeben und Kriegsgräuel, Folter und Scheiterhaufen der Inquisition, Ausbeutung und Ausrottung der indianischen Ureinwohner in Südamerika. Jonas Lüscher greift in seinem Roman die alte Frage der Theodizee wieder auf und gibt ihr eine moderne, dem Zeitalter des Neoliberalismus angemessene Gestalt. In den USA stellt ein Milliardär aus dem Silicon Valley eine Preisaufgabe und lobt eine Million Dollar aus: „Warum alles, was ist, gut ist und wir es trotzdem verbessern können“. Schon die in einen Behauptungssatz gefasste Aufgabe macht deutlich, dass von den Wettbewerbsteilnehmern ein bestätigender, keine Zweifel zulassender Kurzvortrag erwartet wird. Der Tübinger Rhetorik-Professor Richard Kraft stellt sich der Herausforderung. Krafts Lebenssituation ist zwar nicht gerade geeignet, ihn in eine optimistische Stimmung zu versetzen. Seine zweite Ehe steht vor dem Aus, und er wird von Alimentezahlungen geplagt. Aber eben weil er das Geld dringend braucht, entschließt er sich, an dem Wettbewerb teilzunehmen. Er reist nach Kalifornien, wo er bei István unterkommt, einem alten Freund und Weggefährten aus Studienzeiten und inzwischen Professor an der Stanford Universität. Sein Ehrgeiz sei es gewesen, einen modernen Candide-Roman zu schreiben, verriet Jonas Lüscher im Bloch-Zentrum. In der durchgängig ironischen Erzählhaltung seines Romans, mit der Beschreibung grotesker Situationen und komischer Dialoge kommt er seinem Vorbild tatsächlich nahe. Den Anstoß zu seiner „Candide“-Adaption, verriet der Autor weiter, habe ein Aufenthalt an der Stanford Universität mitten im Silicon Valley, dem Mekka der IT- und High-Tech-Industrie, gegeben. Er sei verblüfft gewesen von dem dort herrschenden ungebrochenen Technik- und Fortschrittsoptimismus. Sämtliche Unterhaltungen hätten sehr rasch den Charakter von Bewerbungsgesprächen angenommen. Jeder laufe mit einer brillanten Idee im Kopf herum und sei auf der Suche nach einem Kapitalgeber für eine Unternehmensgründung (wie einst die inzwischen milliardenschweren Gründer von Apple, Facebook und Google). Wie der Roman ausgeht, wollte der Autor nicht verraten. Weil er aber die Theodizee-Frage als unlösbar bezeichnete, ist allerdings von einem ironischen Ende auszugehen. Ob technische Errungenschaften den Menschen zum Heil oder Unheil ausgeschlagen seien, nannte Jonas Lüscher eine Frage der Weltsicht. Er teilt aber die Ansicht des verstorbenen Philosophieprofessors Odo Marquard, dass angesichts der Leiden in der Welt heute nicht mehr Gott, sondern der Mensch auf die Anklagebank gehört.

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