Kreis Südliche Weinstraße Auf einen Schlag

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Reportage: Während Kurt Beck schläft, bildet sich in seiner Aorta ein Blutgerinnsel. Weil seine Frau blitzschnell reagiert, kann er sich gut von seinem Schlaganfall erholen. Das ist über ein Jahr her. Über einen Mann, der lernen musste, auf seinen Körper zu hören.

Steinfeld. Es ist der 28. Dezember 2015, die meisten Menschen genießen die ruhige Zeit zwischen den Jahren, als Kurt Beck die Kontrolle über sich verliert. Er sitzt in seinem Schlafzimmer auf der Bettkante und versucht, sich abzustützen. Doch sein linker Arm knickt weg. Immer wieder. Hat er sich einen Nerv eingeklemmt? Er steigt in die Dusche, nimmt das Shampoo, um sich die Haare einzuschäumen. Doch sein Arm macht, was er will. Beck erinnert sich an seine Zeit als Ministerpräsident, als er mal in Ingelheim Fachvorträge zum Thema Schlaganfall hörte. Aber ich doch nicht, sagt er zu sich, und steigt wieder aus der Dusche. Dann geht er zum Frühstückstisch und tut so, als wäre alles in Butter. Als ihm beim Essen die Gabel das zweite Mal aus der Hand fällt, sagt seine Frau etwas, das er sich seit Stunden nicht eingestehen will: „Du hattest einen Schlaganfall.“ Sie setzt ihren Mann ins Auto und fährt zur Notaufnahme des Pfalzklinikums nach Klingenmünster. Während die kahlen Weinberge und kleinen Fachwerkhäuser an ihm vorbeiziehen, fragt sich Kurt Beck: Werde ich meine Hemden noch selbst anziehen können? Was ist mit meiner Arbeit? Und gibt es überhaupt noch ein selbstbestimmtes Leben für mich? Es sind die Fragen eines Mannes, für den der Begriff Verletzlichkeit nie zum Wortschatz gehörte. Dem „Spiegel“ sagte er vor Kurzem, wie er als Ministerpräsident tickte: „Ich dachte, wenn ich ins Krankenhaus gehe, ist das mein politischer Tod.“ Doch der menschliche Körper ist wie das Wetter in den Bergen. Alles kann sich in wenigen Minuten ändern. Kurt Beck weiß das heute. Ein grauer Februarvormittag gut ein Jahr später. Kurt Beck, 68, sitzt in seinem Büro, nur wenige Meter entfernt von der Steinfelder Grundschule. Der Raum im Dachgeschoss seines Elternhauses ist ziemlich klein, wenn man in Ministerpräsidentenkategorien denkt. Die Einrichtung erinnert an die Möbelhausprospekte der frühen Achtziger. Massiver Holzschreibtisch, schwarzer Lederstuhl. Auf einem Regal reiht sich die Brockhausausgabe, ein Sinnbild für die Bildung des kleines Mannes, den Beck nie aus den Augen verloren hat. Der Kurt, wie ihn viele in der Südpfalz nennen, trägt einen fliederfarbenen Pulli, Mecki-Frisur, wie immer. Er sieht aus wie ein Privatier, der sich nachmittags um die Rosen im Garten kümmert. 19 Jahre war Beck Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Er galt als sozialdemokratischer Eroberer eines Landstrichs, der von den Konservativen gepachtet schien. Unermüdlich reiste er durchs Land, als wäre er ein wandelnder Wahlkampfstand. Er besuchte Kindergärten, sprach mit Senioren im Altenheim, posierte mit Bauarbeiterhelm für Spatenstichfotos. Diese Rastlosigkeit kann einen unsensibel für den eigenen Körper machen. Becks Parteifreundin Theresia Riedmaier musste das schon vor mehr als zehn Jahren erkennen, als sie einen Schlaganfall erlitt. Vor Kurzem hat sie aus gesundheitlichen Gründen ihren Rücktritt vom Amt der Landrätin angekündigt. Während Becks Sekretärin, eine reizende Frau aus dem Ort, dem Gast einen Kaffee bringt, erzählt er von seiner Behandlung in der Stroke Unit des Pfalzklinikums, einer auf Schlaganfälle hoch spezialisierten Einheit. Als er an jenem Dezembermorgen dort ankommt, ist er schlecht drauf, nicht nur wegen des Schlaganfalls. Neujahr steht vor der Tür, viele sind mit ihren Familien in den Ferien, denkt Beck. Na, das kann was werden. Doch es kommt anders. Die Klinikmitarbeiter weisen ihn ein, die Maschinerie läuft an. Uwe Pfeiffer, Leiter der Neurologie, hat eigentlich frei an diesem Tag. Als er gerade dabei ist, seine Wanderschuhe anzuziehen, um sich zu einer Tour ins Elsass aufzumachen, klingelt sein Handy. Ein Notfall sei gerade hereingekommen, sagt ein Mitarbeiter. Der Mann, dieser Notfall, heißt Kurt Beck. Pfeiffer macht sich auf den Weg nach Klingenmünster. Inzwischen wird Beck bereits durchgecheckt, bekommt Medikamente, Infusionen. Und er wird rund um die Uhr überwacht, denn die erste Zeit nach einem Schlaganfall ist am gefährlichsten, er kann sich jederzeit wiederholen. Beck liegt in einem der Betten auf der Station, alle zwei Stunden wird er geweckt, um zu testen, ob alles in Ordnung ist. „Ich habe mich vom ersten Moment an in guten Händen gefühlt“, sagt er. Uwe Pfeiffer ist nicht nervös, als er die Behandlung des ehemaligen Landeschefs übernimmt. „Man muss bei seiner Linie bleiben. Wenn man es besonders gut machen möchte, geht es schief“, sagt der Mediziner. Kurt Beck ist in der Südpfalz kein Einzelfall. Hier sind zwischen 800 und 1000 Menschen jedes Jahr von einem Schlaganfall betroffen, er ist die dritthäufigste Todesursache. Wenn die Menschen der Schlag trifft, wollen das viele zunächst nicht wahrhaben. So wie Kurt Beck. Doch genau darin liegt der entscheidende Fehler. „Time is brain“, sagt Pfeiffer, Zeit ist Gehirn. Weil die Ursache immer eine Durchblutungsstörung im Gehirn ist, muss der Korken so schnell es geht gezogen werden, innerhalb der ersten viereinhalb Stunden nach einem Schlaganfall. Ein Medikament wird durch die Blutbahnen geleitet, es funktioniert wie ein Rohrreiniger, der Verstopfungen auflöst. Ist dieses Zeitfenster geschlossen, muss vielleicht operiert werden. Deshalb, sagt Pfeiffer, ist es wichtig, sehr schnell zu reagieren, wenn es Anzeichen für einen Schlaganfall gibt, der immer eine Körperhälfte betrifft. Wenn etwa der linke Arm oder das linke Bein nicht mehr gehorchen, wenn man verschwommen sieht, nicht mehr gut sprechen kann, wenn der Kopf stark schmerzt, sollte man schnell die 112 wählen. „Und das lieber einmal zu viel als einmal zu wenig“, sagt Pfeiffer. Kurt Beck erkannte die Vorzeichen nicht, „heute weiß ich, dass es sie gab“, sagt er. Nach zwei Tagen auf der Station wird er am Silvestermorgen zu einer Kernspintomografie ins Krankenhaus gebracht, die Ärzte wollen in sein Hirn schauen. Sie finden heraus, dass sich in seiner Halsschlagader, direkt hinter dem Ohr, ein Blutgerinnsel gebildet hatte. Erst steht eine Operation im Raum. Doch das ist zu gefährlich, die Ärzte entscheiden sich dafür, den Pfropfen mit Medikamenten zu behandeln. Es funktioniert, sie können das Blutgerinnsel stabilisieren. Doch der Weg in sein altes Leben ist noch weit, wenn es nach einem Schlaganfall überhaupt so etwas wie ein altes Leben geben kann. Nach sieben Tagen auf der Stroke Unit beginnt seine Reha in der Edith-Stein-Klinik in Bad Bergzabern. Ein Mann, der es gewohnt ist, dass er bestimmt, wie die Dinge laufen, tut sich vielleicht ein wenig schwer damit, in ein Glas mit Rapskernen zu greifen, um das Gefühl in seiner linken Hand zurückzugewinnen. Aber diese Übungen helfen ihm. Seelisch habe er die Sache gut verarbeitet, sagt Beck. Die Ärzte hätten ihm gesagt, dass es psychische Probleme nach einem Schlaganfall geben könne. „Das Gehirn ist eben mehr als ein Schaltkasten, es ist der Sitz der Seele“, meint Uwe Pfeiffer. Bei vielen löst ein Schlaganfall das Gefühl von Schwäche aus. Wer eben noch im Büro sitzt, um die Abrechnungen für das Familienunternehmen fertig zu machen, und einige Tage später beginnen muss, wieder sprechen zu lernen, für solche aktiven Menschen ist das schlimm. Denn Schwäche ist etwas, das man zulassen muss. Deswegen sei es wichtig, Betroffenen Mut zu machen, sagt Pfeiffer. Vor ein paar Wochen war Kurt Beck im rheinland-pfälzischen Partnerland Ruanda, das ihm am Herzen liegt. Er ist Handlungsreisender für die Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Vorsitzender er ist. In dem afrikanischen Land hat er ein Büro eröffnet, dessen Mitglieder beim Aufbau demokratischer Strukturen helfen wollen. Solche Reisen seien kein Problem, er habe sich von seinem Schlaganfall gut erholt, sagt er. Sein Leben habe sich kaum verändert, nur beim Essen achtet er etwas mehr auf sich. „Ich will den Menschen in unserer Region sagen, dass es hier eine hervorragende Versorgung für Schlaganfallpatienten gibt. Man muss dafür nicht nach Bad Dingsbums fahren“, sagt er. Man müsse sich nur anstrengen, dann sei es möglich, wieder in seinen alten Lebensrhythmus zu kommen. Kurt Beck drückt sein Kreuz durch, als hätte ihm einer auf die Schnelle ein Brett auf den Rücken gespannt, und sagt: „Ich bin ein zufriedener Mensch.“ Selbst nach seinem Schlaganfall.

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