Kusel Freude, aber auch ein bisschen Bammel

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Kusel. Adieu, Kusel: Der Schreiner Lukas Tonini wird seine Geburtsstadt in den kommenden drei, vier Jahren nicht sehen. Seit gestern ist der 20-Jährige auf der Walz. Sein „Exportgeselle“ Gerd steht ihm in den ersten Wochen zur Seite. Bammel hat Tonini trotzdem. „Die größte Angst ist, dass ich abbreche.“

Die schwarze Kluft trug Lukas Tonini schon Tage vor dem endgültigen Abschied. Auch der „Charlie“, das Bündel im weißen Tuch, das in der Sprache der Wandergesellen Charlottenburger heißt, war längst geschnürt. Wechselwäsche, eine zweite Garnitur der Kluft, ein Schlafsack und das Buch „Mit Gunst und Verlaub“, ein Bestseller mit Geschichten von Gesellen in der Fremde – viel mehr ist nicht im leichten Gepäck. „Zahnbürste und -paste hab ich in der Hosentasche, Handy ist sowieso verboten“, sagt Tonini. Platz für eine dicke Geldbörse braucht er nicht. Das „letzte Hemd“, die Reiseunterstützung, mit der er die Wanderschaft antritt, beträgt fünf Euro. Am Samstag hat der Schreiner noch einmal gefeiert mit allen, die ihm lieb und teuer sind. Eine Abschiedsfeier gut 24 Stunden, bevor er das Ortsschild von Kusel (es ist das an der B 420 Richtung Rammelsbach) auf Jahre zum letzten Mal gesehen hat. Drei Jahre und einen Tag mindestens darf er seiner Heimat nicht nahe kommen. 60 Kilometer Luftlinie beträgt der Radius des Bannkreises, so ist die Regel im Rolandsschacht. Dieser 1891 gegründeten Gesellenvereinigung (es ist eine von sieben in Deutschland) hat sich Tonini angeschlossen. Auf der Landkarte in seiner Jackentasche ist Kusel schon jetzt nur noch ein großer, weißer Fleck. Die Idee, auf die Walz zu gehen, pflanzte Tonini ein Freund ein. „Der ging am 1. Dezember 2013 los. Damals hab ich mir gedacht, dass es auch was für mich sein könnte. Und jetzt mache ich es.“ Das Leben auf der Walz ist ein extremes; es ist ein Leben auf der Straße, meist per Anhalter und oft mit wenig Geld, Abenteuer und Charakterschule in einem. Reisen und Arbeiten auf Zeitvertrag sollen sich die Waage halten, die Vorschriften der Schächte sind, was den ehrbaren Auftritt und das Verweilen an ein und demselben Ort angeht, streng, die Strafen für Verfehlungen rustikal. Unter 27, ledig, kinderlos, schuldenfrei und ohne Vorstrafen muss sein, wer als Rolandsbruder als Geselle im traditionellen Bauhandwerk auf die Walz gehen will. „Man lernt die Welt kennen, kommt im Beruf weiter“, sagt Tonini. Den normalen Alltag eines 20-Jährigen – schnell mal zum Kino verabreden, sich am Wochenende treffen, Internet, seine Band Hydra – hat er gestern für lange Zeit hinter sich gelassen. Den ersten Monat herrscht striktes Kontaktverbot, danach kann er Freunde und Familie treffen, aber nur außerhalb der 60-Kilometer-Zone. „Die Menschen, die ich liebhabe, werde ich recht wenig sehen. Sie machen sich natürlich Sorgen um mich, aber sie gönnen mir die Erfahrung.“ Der Zwiespalt kennzeichnet auch die Seelenlage von Tonini. „Jetzt wird es ernst“, sagt er vorm Abmarsch. „Ich bin traurig, aber ich freue mich auch.“ Ganz auf sich gestellt, muss der angehende Wandergeselle sich noch nicht in der Fremde zurechtfinden. Sein „Exportgeselle“ Gerd („einen Nachnamen gibt es nicht“), ein Maurer aus dem Schaumburgerland, wird ihm erst einmal Beistand leisten. Zwei Jahre ist der 26-Jährige Niedersachse schon auf der Walz, er hat in Norwegen, Namibia und Neuseeland gearbeitet, für Kost und Logis und für gutes Geld, im Akkord und in kreativen Projekten und „mit Werkzeug, das ich noch nie vorher gesehen hatte“. Als Maurer reist Gerd den Schachtvorschriften gemäß ganz in weiß; die blaue „Ehrbarkeit“ mit der goldenen Nadel, die für nicht Eingeweihte schlicht ein Schlips ist, trägt er unverhohlen stolz, das Wanderbuch mit all den Stempeln und Arbeitszeugnissen verwahrt er, gut eingepackt in Folie, nah am Herzen. An der Seite von Gerd darf Lukas Tonini so erst einmal ins Leben auf der Walz hineinschnuppern. Noch ist er ein „Vogtbursche“, einer auf Probe. Hat er das Zeug zum Wandergesellen, wird er in ein paar Wochen in einer höchst traditionellen Zeremonie sein Wanderbuch erhalten und in eigener Verantwortung unterwegs sein. Drei Jahre und einen Tag, mindestens.

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