Otterberg Isidor Straus und seine Frau Ida starben beim Untergang der Titanic

Als die Titanic im April 1912 Southampton verließ, konnte sich niemand vorstellen, dass dieses Schiff sinken könnte.
Als die Titanic im April 1912 Southampton verließ, konnte sich niemand vorstellen, dass dieses Schiff sinken könnte.

Am 14. April 1912 ist die Titanic im Nordatlantik gesunken und hat 1514 Menschen mit in den Tod gerissen – darunter auch Isidor Straus aus Otterberg. Nun hat der Journalist Jens Ostrowski unter dem Titel „Die Titanic war Ihr Schicksal“ ein Buch geschrieben, das erstmals die Geschichte der 22 deutschen Passagiere und Besatzungsmitglieder erzählt – und neue Hintergründe zum Otterberger Titanic-Opfer liefert. Ein Gastbeitrag des Autors.

Als die Crew der Mackay-Bennett einige Tage nach dem Untergang der Titanic Isidor Straus aus dem eisigen Nordatlantik barg, trug er noch immer seinen pelzgefütterten Mantel, ein weich gestreiftes Hemd unter der Weste, braune Stiefel und schwarze Seidensocken. Die Taschen waren gefüllt mit einem goldenen Federmäppchen, einem silbernen Fläschchen, Schmuck und etwas mehr als 44 Pfund in Noten und Münzen. Ein neues Buch über die deutschen Passagiere und Besatzungsmitglieder erzählt erstmals die Geschichte hinter der bekannten Geschichte des Otterbergers Titanic-Opfers Isidor Straus.

Isidor und Ida blieben auf der sinkenden Titanic

Besonders der schwere Mantel spricht nicht dafür, dass Isidor jemals vorhatte, im kalten Wasser um sein Leben zu schwimmen. Der betagte Herr im Alter von 67 Jahren hätte in ein Rettungsboot steigen können – und lehnte dankend ab. Wie um alles in der Welt könnte er sich retten, wenn so viele Frauen und Kinder an Bord bleiben mussten? Wenn die meisten der anderen Männer dieses Privileg nicht bekamen? „Isidor blieb auf der sinkenden Titanic, seine Moral verbot ihm, sich unter diesen Umständen in Sicherheit zu bringen“, fasst Titanic-Historiker Günter Bäbler zusammen. Das wiederum veranlasste seine Ehefrau Ida dazu, bei ihrem Mann zu bleiben. „Wohin Du gehst, dahin gehe auch ich“, soll sie ihm gesagt haben. Gemeinsam gingen sie in den Tod – und wurden doch getrennt. Während die Besatzung der Mackay-Bennett Isidors Leichnam aus dem Nordatlantik barg, blieb der Körper seiner Ida für immer verschwunden.

„Das sind die Fakten, die wir alle kennen“, sagt Bäbler, der das Buchprojekt „Die Titanic war ihr Schicksal“ begleitete. Mindestens ebenso spannend seien aber die unerzählten Geschichten. Die Trauer der Familie, das Leben von Ida und Isidor Straus vor dem Untergang der Titanic – und auch der Blick auf ihre Geschäfte und Fabriken in Deutschland, die sie besaßen. „Sie waren eben nicht nur Miteigentümer des berühmten New Yorker Kaufhauses Macys.“

Sie gehörten zu den reichsten Passagieren an Bord

Ida und Isidor Straus gehörten nicht nur zu den reichsten Passagieren an Bord der Titanic, sie gehörten auch zu den reichsten Amerikanern ihrer Zeit. Beide stammten aus der Pfalz und kamen mit ihren Familien schon als Kinder in die Vereinigten Staaten.

„Dass Ida und Isidor Straus auf der Titanic landeten, hatte auch mit dem Entschluss der beiden zu tun, mehr reisen zu wollen“, weiß Bäbler. Mehrere schwere durch eine Arterienkrankheit ausgelöste Anfälle bei Ida lasteten schwer auf dem Herzen von Isidor. Beiden graute es bei der Vorstellung, nach 40 Jahren auch nur einen Tag ohne den anderen auskommen zu müssen. Also verordneten sie sich ab etwa 1909 aus gesundheitlichen Gründen mehr Ruhe. Sie zogen sich ein Stück weit aus den Geschäften zurück, und Isidor entschied, dass die beiden die Wintermonate in einem Hotel verbrachten, um Ida zu entlasten. Und sie bereisten die Welt.

Im Januar 1912 beginnt die letzte Reise

Zu ihrer letzten Europa-Reise brachen sie im Januar 1912 gemeinsam mit Zofe und Diener auf. Ihr Ziel war das malerische Dorf Cap Martin an der französischen Riviera. Hier im mediterranen Klima wollten sie viele Woche ausspannen. Am Ende kehrten sie früher zurück als geplant, weil sich Isidor dem New Yorker Kaufhaus verpflichtet fühlte. Dass der Gewinn sank, ließ ihm keine Ruhe. Sie reisten zurück nach England und gingen dort an Bord der neuen Titanic. Bei einem Zwischenstopp in Paris trafen sie sich noch mit Idas Neffen Alfred. Er war das letzte Familienmitglied, dem Ida und Isidor Straus in ihrem Leben begegneten.

Isidor wurde am 6. Februar 1845 im pfälzischen Otterberg nahe Kaiserslautern geboren. Sein Vater handelte in seinem eigenen Geschäft mit Saatgut und Getreide. Die jüdische Familie drückten Schulden seit der Geschäftsübernahme, die schwierige wirtschaftliche Situation der Menschen in der Pfalz erschwerte die Lage. Handwerk und Landwirtschaft ging es schlecht, die Industrialisierung hatte auf dem Land noch nicht eingesetzt. Zehntausende Pfälzer wanderten in dieser Zeit nach Amerika aus, um ihr Glück zu suchen. Die Familie Straus folgte dem Strom in den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts. Vater Lazarus Straus konnte nach dem Verkauf seines Besitzes in Otterberg einen Gemischtwarenladen in Talbotton, Georgia, eröffnen. Es war der Beginn eines rasanten Aufstiegs der Familie.

Während des Bürgerkriegs nach Otterberg zurück

Während des Amerikanischen Bürgerkrieges kehrte Isidor Straus nochmal nach Otterberg zurück – als Sekretär bei der „Georgia Importing and Exporting Company“, die sich zur Aufgabe machte, durch den Handel mit Europa die Blockade der Union zu umgehen. Güter des täglichen Bedarfs aus dem Norden gelangten während des Krieges nicht mehr in den Süden. Privilegierte Aufgabe des jungen Isidor war es, nach England zu reisen, um dort Waren für die Südstaaten einzukaufen. Einen dieser Europa-Aufenthalte nutzte Isidor Straus, um seine deutsche Heimat in Otterberg zu besuchen. Den Großeltern kündigte er seinen Besuch nicht an, sie lebten noch immer in dem Haus, das Lazarus Straus und die Kinder vor vielen Jahren verlassen hatten. Sein Großvater wollte nicht glauben, wer da vor ihm stand. Er erkannte seinen Enkel kaum wieder. Isidor Straus erzählte seinen Großeltern alle Neuigkeiten der Familie in Amerika und versuchte so gut es ging, auch die Gründe für den Bürgerkrieg zwischen der Union und den Konföderierten zu erklären. Isidor Straus blieb zwei Monate in Otterberg, bevor er nach London zurückkehrte.

Der Familie Straus glückte nach dem Krieg mit dem Umzug nach New York ein rasanter Aufstieg. Gemeinsam mit seinem Sohn Isidor gründete Lazarus Straus in der Chambers Street einen Geschirr- und Glaswarenhandel, in den später auch die Söhne Nathan und Oscar einstiegen. 1873 konnte „L. Straus & Sons“ im Untergeschoss des Warenhauses von Rowland H. Macy an der 14. Straße eine eigene Abteilung einrichten. „Nach dem Tod des Inhabers übernahm die Familie Straus das Kaufhaus schließlich ganz“, weiß Historiker Günter Bäbler.

Auch mehrere Geschäfte in Deutschland

Die Geschäfte der Familie Straus liefen gut. Sie eröffneten im Laufe der Jahre mehrere Kaufhäuser und kehrten wirtschaftlich auch nach Deutschland zurück. In Berlin unterhielten sie ab 1910 zwei Kaufhäuser. Es waren „Macy & Co.“ in der Wilhelmstraße 45 und „Abraham & Straus“. Die Hauptstadt des Deutschen Reichs gehörte zu dieser Zeit zu den führenden Modestädten der Welt. Das Straus-Imperium machte mit Berliner Konfektion damals jährlich rund 100 Millionen Mark Umsatz – verkaufte aber nicht nur Mode aus Deutschland. Im thüringischen Rudolstadt eröffneten die Strausens 1882 eine eigene Porzellanmanufaktur. Mit der „New York and Rudolstadt Pottery Company“ importierten sie hochwertiges deutsches Porzellan nach Amerika. Kein Wunder also, dass auch in deutschen Städten Flaggen auf Halbmast standen, als klar wurde, dass Ida und Isidor Straus mit der Titanic ihr nasses Grab im Nordatlantik gefunden hatten.

Am 8. Mai 1912 wurde Isidor ohne seine Ida bestattet. Doch: „Viele Wasser können die Liebe nicht löschen. Genauso wenig können die Fluten sie ertränken“. So steht es bis heute als Inschrift am privaten Straus-Mausoleum auf dem New Yorker Woodlawn-Friedhof, in das Isidor Straus 1928 verlegt wurde.

Info

Nach „Berufung Titanic“ über den Benediktinermönch Pater Joseph Peruschitz ist das jetzt erschienene Werk bereits das zweite Buch des 39-jährigen Journalisten Jens Ostrowski aus Dortmund über den Untergang des legendären Ozeanriesen. Das Buch „Die Titanic war Ihr Schicksal – Die Geschichte der deutschen Passagiere und Besatzungsmitglieder“, DIN A4, Querformat, Hardcover, 176 Seiten, durchgängig farbig illustriert, ISBN: 978-3000668036, ist direkt beim Autor unter www.jensostrowski.de erhältlich.

Isidor und Ida Straus gingen gemeinsam in den Tod.
Isidor und Ida Straus gingen gemeinsam in den Tod.
Jens Ostrowski
Jens Ostrowski
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