Leimersheim/Zweibrücken Separatisten rufen die „Autonome Pfalz“ aus

Des Separatismus verdächtigt: Emil Emmerling mit Ehefrau Sofie geb. Gehrlein, Müller und Landwirt in Leimersheim und Bruder des
Des Separatismus verdächtigt: Emil Emmerling mit Ehefrau Sofie geb. Gehrlein, Müller und Landwirt in Leimersheim und Bruder des Bankdirektors und »Pfalzbefreiers« Rudolf Emmerling.

Vor 100 Jahren wollten unzufriedene Bauern die französisch besetzte Pfalz aus dem Deutschen Reich lösen.

Die Pfalz im Herbst vor 100 Jahren: Fünf Jahre nach Ende des Ersten Weltkrieges wird noch in allen Orten der Gefallenen gedacht, aber auch dem Geld nachgetrauert, das die Hyperinflation der vorausgegangenen Monate auffraß. Schuld gibt man nicht dem von deutschem Boden ausgegangenen Krieg, sondern den Reparationsforderungen der Franzosen. Diese besetzen seit Dezember 1918 die ganze Pfalz. Zwei gegensätzliche politische Bestrebungen spalten die Geister: Fordern die Einen ein Ende der Besatzung, sehen die Anderen ihre Zukunft in einem eigenständigen, an Frankreich angelehnten Staat. Im Lauf des Jahre 1923 spitzt sich dieser Konflikt zu und erreicht zum Jahresende einen Höhepunkt.

Heinz-Orbis spricht vor seinen Anhängern und Mitglieder der Freien Bauernschaft.
Heinz-Orbis spricht vor seinen Anhängern und Mitglieder der Freien Bauernschaft.

Von den Franzosen ausgewiesen

Mitte April 1923: Zwei junge Männer fahren gemeinsam mit dem Zug von Zweibrücken aus durch die Pfalz ins Rechtsrheinische. Als Gegner der Besatzungsmacht wurden sie von den Franzosen ausgewiesen. Einer davon, der 29-jährige, frisch verheiratete Rechtsanwalt Dr. Edgar Julius Jung, ist Mitarbeiter des Reichstagsabgeordneten Albert Zapf aus Waldfischbach (Deutsche Volkspartei, DVP) und arbeitete bis zu diesem Zeitpunkt als Referendar in Zweibrücken. Von hier aus organisierte er seit 1922 Abwehrzirkel gegen die französische Besatzungsmacht und nahm deshalb Kontakt zu den Führern der nationalen Verbände auf, um deren pfälzische Gefolgsleute für seine Kampforganisation zu gewinnen, darunter auch Adolf Hitler.

Rudolf Hamm (rechts vorne, liegend) und Mitglieder der Freien Bauernschaft.
Rudolf Hamm (rechts vorne, liegend) und Mitglieder der Freien Bauernschaft.

Kampfbund ins Leben gerufen

Einen Monat vor der Ausweisung, im März 1923, organisierte Jung ein Treffen von Vertrauensleuten einzelner pfälzischer Abwehrgruppen. Dabei wurde der „Rheinisch-Pfälzische Kampfbund“ ins Leben gerufen. In der Pfalz zählt er etwa 30 lokale Stützpunkte mit bis zu 200 Mitgliedern. Die Jungsche Organisation verschmilzt im Laufe des passiven Widerstandes mit einer anderen Gruppe.

Sie wurde in Kaiserslautern vom dortigen Direktor der Süddeutschen Discontobank aufgebaut: Rudolf Emmerling aus Leimersheim. Vermutlich wurde er von Reichswehrstellen beauftragt, einen militärischen Abwehrdienst zu organisieren. Direkte Verbindungen mit dem Reichswehrkommando VII in München legen dies nahe. Der Kampfbund betreibt Propagandaarbeit und verübt immer wieder kleinere Sabotageakte. Im September 1923 überfällt er Teilnehmer einer Separatisten-Kundgebung. Daraufhin wird Emmerling von französischen Gendarmen verhaftet.

Nach der Ausweisung von Jung übernimmt Emmerling die Führung des Kampfbundes in der Pfalz. Gleich darauf, im April 1923, schickt er seine Frau und seine vier Kinder im April aus der Gefahrenzone nach Bayern.

Rudolf Hamm mit Ehefrau Anna geb. Schmahl, Vorsitzender der Freien Bauernschaft und Landwirt auf dem Deileisterhof bei Zweibrück
Rudolf Hamm mit Ehefrau Anna geb. Schmahl, Vorsitzender der Freien Bauernschaft und Landwirt auf dem Deileisterhof bei Zweibrücken.

Mit Lieferstreiks gekämpft

Die Lage spitzt sich zu, als am 5. November 1923 in Kaiserslautern der Präsident der „Freien Bauernschaft“ und Separatistenführer Franz-Josef Heinz aus Orbis alias „Heinz Orbis“ die „Autonome Pfalz“ ausruft. Mit gewerkschaftlichen Methoden sowie Lieferstreiks kämpfte seine Vereinigung in den Nachkriegsjahren insbesondere gegen staatliche Zwangsbewirtschaftung der Landwirtschaft und stand damit in scharfem Gegensatz zur Staats- und Kreisregierung. In der Pfalz entwickelte sich die überparteiliche, überkonfessionelle Freie Bauernschaft rasch zur größten bäuerlichen Vereinigung mit rund 15.000 Mitgliedern (Stand 1923).

„Milchstreik“ in der Westpfalz

Aufsehen erregte insbesondere ein „Milchstreik“ in den Bezirken Kaiserslautern, Pirmasens und Zweibrücken im Jahr 1921 wegen der staatlich verordneten Preisfestsetzung landwirtschaftlicher Produkte. Der Vorsitzende der Freien Bauernschaft-Gruppe Pfalz, Rudolf Hamm aus Zweibrücken, kam deshalb Anfang 1921 in Untersuchungshaft. Vorwurf in dem vorm Landgericht geführten Strafverfahren: „Beamtennötigung und Aufreizung zum Ungehorsam“.

In staatspolitischer Hinsicht lehnte Hamm die separatistische Politik von Heinz-Orbis ab. Dennoch galt auch er als Gesinnungsgenosse des Separatistenführers ebenso wie sein Geschäftsführer Dr. Jakob Naffziger vom Stausteinerhof bei Pirmasens, bis 1921 in Zweibrücken und seither in Kaiserslautern wohnhaft.

In Germersheim marschieren Separatisten ein

Gleich nachdem sich Heinz-Orbis zum Regierungspräsidenten der Autonomen Pfalz ernannte, marschieren in zahlreichen Kommunen Separatisten ein. Bevor Zweibrücken am 3. Dezember 1923 von Separatisten besetzt wird, erfolgt dies in Germersheim schon am 10. November 1923. Die bisherige Polizei wird entwaffnet und der Befehlsgewalt der Besatzungsmacht unterstellt. Die „Autonome Regierung“ stationiert auch einen Trupp Bewaffneter im damaligen Grenzort in Leimersheim. Auftrag: Überwachung des Rheinübergangs.

Leimersheimer Bürgermeister erpresst

Von den Bürgermeistern und Gemeinderäten werden Loyalitätserklärungen gefordert, notfalls erpresst. Der Gemeinderat von Leimersheim sieht sich nicht für zuständig, die neue Regierung anzuerkennen, erklärt sich aber bereit, nichts gegen sie zu unternehmen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Wie viele andere auch gibt der Leimersheimer Bürgermeister Emil Emmerling, ältester Bruder des Bankiers Rudolf Emmerling, unter Druck und „dem Zwang der Verhältnisse“ eine Erklärung über die Zustimmung zur neuen Regierung ab.

Deshalb wird er noch lange von nationalistischen Kräften des Separatismus beschuldigt. Im Dritten Reich wird zeitweise seine Mühle stillgelegt, obwohl sich dadurch die Ernährungslage im Krieg verschlechtert. Bereits zwei Tage vor dem Sieg der Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen im März 1933 wird in Zweibrücken auf den Bauernhof von Rudolf Hamm, 1923 Vorsitzender der „Freien Bauernschaft“, ein Brandanschlag verübt. Mangels Ortskenntnis wird der falsche Hof angezündet, jener des unpolitischen Nachbarn und Mennoniten Johann Fuchs.

Die Separatistenzeit von 1923 währte nicht lange. Am 9. Januar 1924 wird der Separatistenführer Heinz Orbis im Hotel „Wittelsbacher Hof“ in Speyer von nationalistischen Kräften erschossen. Sechs Wochen darauf übernimmt die rechtmäßige Regierung in Speyer wieder ihre Amtsgeschäfte. Der einzige aktive Separatist in Leimersheim flieht nach Frankreich und geht in die Fremdenlegion.

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