Kreis Germersheim „Ich kann nicht mehr schreiben vor lauter Angst“

RÜLZHEIM. Beim „Kramen“ auf seinem Speicher hat der Rülzheimer Walter Kern Feldpostbriefe seines Großvaters Andreas Fischer aus dem Ersten Weltkrieg gefunden, die er vor Jahren aus seinem Elternhaus mitgenommen und „gedankenlos“ zur Seite gelegt hatte. Jetzt hat er sich aus Anlass des 100. Jahrestages des Kriegsausbruchs wieder an sie erinnert.

Fischer, verheiratet mit Eva, geborene Hartenstein, wurde vermutlich 1915 zur Wehrmacht eingezogen und dem 1. Bataillon, 4. Kompanie, 2. Armeekorps, 25. Bayrisches Infanterie-Regiment, zugeteilt. Dies zumindest geht aus dem Absender der Briefe hervor. Die Rekruten sammelten sich in Germersheim und wurden dann an die Front geschickt. Fischer war in Frankreich im Einsatz, daher stammen die meisten Briefe. Der Weg dahin führte durch Belgien. Gegen Ende des Kriegs ist Fischer gefallen; wann und wo, weiß Kern nicht. Die Begriffe „Heimweh“ und „Hunger“ ziehen sich wie ein roter Faden durch alle mit Bleistift in Sütterlin-Schrift geschriebenen Briefe, die hauptsächlich aus dem Jahr 1915 stammen. Äußerungen zu kämpferischen Handlungen oder die Stimmung der Soldaten in diesem bis dahin blutigsten Krieg aller Zeiten sind nicht zu finden, wohl auch, weil sich offensichtlich kein Landser traute, dies seinen Angehörigen mitzuteilen. Sicherlich auch aus der Angst heraus, dafür bestraft zu werden. Denn in einem Brief deutet er nur vage die Gefahr „ins Gefängnis zu kommen“ an, was sich eigentlich nur auf die Preisgabe militärischer Informationen beziehen kann. Nur Äußerungen wie „den ganzen Tag sind Kugeln zu hören, wir hoffen auf eine baldige Heimkehr“ und „wir sind drei Tage im Zug gefahren … und liegen jetzt im Schützengraben“ oder die Hoffnung, „wenn die Schlacht doch bald vorbei wäre“ (7. Juli 1915) sind zu lesen. Die Zensur von Feldpostbriefen war sicher ein Grund dafür. Im Juni 1915 befand sich Fischer offensichtlich noch in Germersheim, aber am 13. Juli kündigt er seine Verlegung an die Front an. Er schreibt: „Wir können jederzeit abgelöst werden und müssen ins Feld.“ Ein Hinweis, wohin Fischers Einheit verlegt wurde, steht in einem in Frankreich abgestempelten Brief vom 20. Juli 1915. Darin schreibt er auch, dass seine Einheit „den Engländern schwere Verluste beigebracht hat“, aber davon dürfe er „nichts weiteres“ schreiben. Die Verpflegung der Soldaten war offensichtlich nicht gut, denn Fischer erhielt ständig auch Päckchen aus der Heimat mit Lebensmitteln, mit Dosenwurst oder Brot. „Schick ruhig Brot, auch wenn’s trocken wird.“ Aber auch kleine Geldsummen fließen an die Front, denn „es ist alles so teuer hier, das Bier kostet 50 Pfennig“. Wie verzweifelt die Lage der Soldaten bereits im Juli 1915 war, zeigt die Äußerung: „Wer weiß, wohin wir kommen, ich kann nicht mehr schreiben vor lauter Angst.“ Er klagt über Kopfschmerzen „vor lauter Schießen“ und sie seien „ständig in Gefahr“. Drei Tage später schreibt er: „Ich lebe noch und kann dir wieder schreiben.“ Besonders deutlich wird immer wieder Fischers Heimweh. „Ich denke immer an zu Hause“ und ergänzt mit der Bitte an seine Frau, wenn sie öfter schreiben würde, „dann hätte ich es nicht so schwer“, schreibt er am 20. Juli 1915. In einem Brief vom 11. August 1915 aus Frankreich heißt es: „Wenn Gott es will, werde ich wieder glücklich nach Hause kommen. … Ich will nicht mehr, als nur wieder zu den Kindern kommen.“ In einem weiteren Brief deutet Fischer seine Verlegung nach Russland an. Seine Frau solle nichts mehr schicken, weil er nicht wisse, wohin er komme. Aber es heißt auch: „Da ist es noch schlimmer“ und „eine offene Schlacht ist schlimmer als der Schützengraben.“ Und immer wieder wird auch Fischers große Gläubigkeit deutlich. Er danke seinem Herrgott, dass es ihm noch gut gehe und er fügt noch an: „Ohne Beten läuft nichts.“ Aus dem Jahr 1916 sind keine Briefe erhalten, lediglich noch einer aus dem August 1917, in dem Fischer schreibt, dass „überall Gewalt“ herrsche und er fragt sich, „wie geht der Krieg aus“, er habe Zweifel an einem Sieg. Dass es den Soldaten damals körperlich und seelisch sehr schlecht ging, lässt sich aus der Äußerung schließen, er habe 10 Pfund abgenommen „vor lauter Kummer und Weh“. Er hoffe, seine Lieben bald wieder zu sehen, aber „ich kann auch nichts machen“. In diesem Brief wird Fischers Niedergeschlagenheit besonders deutlich, seine Äußerung „ich denke oft an den Tod und rechne auch damit“ hört sich an wie ein Abschiedsbrief und könnte auch schon eine Vorahnung auf seinen bevorstehenden Tod sein. (rud)

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