Kaiserslautern Wunsch und Weg

Wie der am Wochenende beim Ludwigshafener Festival des deutschen Films ausgezeichnete neue HR-„Tatort“ mit Ulrich Tukur könnten eine Reihe von Wettbewerbsfilmen den Titel „Wer bin ich?“ tragen. Starke Visitenkarten liefern Štepán Altrichter und Kolja Malik mit ihren Kino-Langfilmdebüts „Schmitke“ sowie „Und am Ende sind alle allein“ ab. Unter den TV-Filmen berührt „Über den Tag hinaus“ von Martin Enlen.

Ein vom ereignislosen Alltag ausgelaugter Ingenieur (Peter Kurth) landet in „Schmitke“ in einer entrückten Waldregion im Erzgebirge und stellt sich seinen Ängsten: Štepán Altrichters Abschlussfilm der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf ist sozusagen ein Gegenstück zum Waldfilm „Zerrumpelt Herz“ – doch ist das Mysteriöse bei Altrichter stets mit Humor unterfüttert. Filmheld Julius Schmitke ist ein Mann, der zwar abgestumpft wirkt, aber seine Sache doch gut machen will. Sowohl in der Windkraftforschung, die allerdings nicht voran geht, als auch im Reparatureinsatz, nachdem der Chef ihn und seinen faulen Assistenten degradiert hat. Mitten in einem maroden Erzgebirgsdorf, in dem die Zeit eingefroren scheint, soll er ein schwer ächzendes Uralt-Windrad in Ordnung bringen. Wie ein verwundetes Tier klingt das müde Rad mit Eigenleben: Es lässt sich einfach nicht abstellen. Und dann ist auch noch der Assistent verschwunden. Tief im nebelvergangenen Wald, wie Schmitke befürchtet, der dort bald auf Erkundungen geht. Und auf trügerischen Grund trifft – Betonruinen, Grabungslöcher, geschichtlicher Boden. Die eigenwilligen Dorfbewohner aber schicken ihn vielleicht auch in die Irre. „Schmitke“ ist skurril, liebenswert und bisweilen kurios. David Lynch trifft auf Kaurismäki und die absurd-schelmische Erzähltradition der tschechischen Neuen Welle der 1960er. Jirí Menzel, Miloš Forman und vor allem den Film „Der Leichenverbrenner“ des hierzulande nicht so bekannten Juraj Herz nennt der 33-jährige Regisseur denn auch als Einflüsse aus seiner alten tschechischen Heimat. „Filme, die sich nicht nur logisch erklären lassen“, möchte Altrichter drehen, der vor 20 Jahren mit seiner Familie nach Konstanz gezogen war. „Ich finde es toll, wenn man nicht alles zusammenfassen kann in Worten, sondern der Film anders berührt“, sagt er, womit er es sich bei Förderstellen und deren Antragsformularen nicht gerade leicht macht. „In Deutschland findet ja alles auf dem Papier statt.“ Dabei hat er keineswegs ein verkopftes Kunstkino im Sinn: „Es muss immer unterhaltsam sein.“ In „Schmitke“ gelingt ihm die Mischung aus E und U bereits recht gut, zumal er sich auf den großartigen Peter Kurth verlassen kann, der mit vollem Körpereinsatz und einem kindlichen Staunen im Blick den Ingenieur auf unfreiwilligem Selbstfindungstrip spielt. Jugendlich ungestüm – mit Hang zur Verzweiflung allerdings – ist dagegen der Wettbewerbsbeitrag des 1990 geborenen, auch als Videokünstler am Theater Aachen tätigen Kolja Malik. „Und am Ende sind alle allein“ zeichnet das Porträt einer Generation, die zwar viele Chancen hat, aber doch daran scheitert, Wunsch und Weg miteinander in Einklang zu bringen. Fünf junge Leute in einer Nacht in Aachen begleitet der Film, der oft mit betont unscharfen Videobildern arbeitet: zwei Schauspielerinnen, einen Regieassistenten, einen Autor, einen wütenden Rebellen, amourös vielfältig miteinander verbandelt. „Ein Roadmovie übers Wegrennen, über Realitäten und über diese Liebe, an die ja sowieso kein Schwein glaubt“, nennt Malik seinen Film. Die Sinnkrisen der Neo-Boheme mögen Zuschauern über 30 zwar übertrieben vorkommen, doch gelingt Malik ein atmosphärisch dichtes Porträt junger Künstler, die noch ans Absolute glauben und damit hadern, sich zu binden, erwachsen zu werden und Kompromisse einzugehen. Dass man seine Träume nicht aufgeben, sondern hartnäckig verfolgen sollte und auch mit Anfang 40 noch mal neu anfangen kann, ist wiederum Thema von „Über den Tag hinaus“. Eine frustrierte Taxifahrerin, die früher mal Klimaforscherin werden wollte und nie über das Ende einer Liebe hinwegkam, trifft hier auf einen 80-Jährigen, der ihr neue Impulse gibt. Der hartnäckige Fahrgast möchte einen Tag lang durch Frankfurt und Umgebung kutschiert werden – eine Abschiedstour vom Leben, ahnt der Zuschauer lange vor seiner Fahrerin. Der Wohlfühlfilm von Grimmepreisträger Martin Enlen, bereits schon zweimal Festivalgast, wirkt zwar recht konstruiert. Doch beglückt das prächtig aufspielende Schauspielerduo: Katja Studt glänzt als spröde Taxifahrerin in ständiger Abwehrhaltung, Horst Sachtleben als galanter Psychologe im Ruhestand, der eine letzt gute Tat vollbringen möchte. „Über den Tag hinaus“ feiert das Leben und den Mut zur Veränderung, um sich nicht im ungeliebten Alltag hadernd einzurichten. Wie der am Samstag mit dem Medienkulturpreis für eine mutige TV-Redaktion ausgezeichnete „Tatort: Wer bin ich?“ ist Enlens Film vom Hessischen Rundfunk in Gestalt von Liane Jessen produziert worden. „Wir lieben über alles, was wir tun, und empfinden es als unglaubliche Verantwortung“, erklärte die Redakteurin nach der Preisverleihung ihren Antrieb. „Die Filme entstehen aus einem bestimmten Spirit heraus. Wir sind festangestellt, wir können also etwas wagen, das ist wie eine Verpflichtung zu Mut.“ Die Idee zum wieder wilden „Tatort“, der ein Spiel im Spiel im Spiel darüber ist, wie eine Figur im Kopf eines Schauspielers Eigenleben entwickeln kann, war allerdings die Idee von Ulrich Tukur selbst: Ergebnis eines Bargesprächs nach Drehschluss mit dem späteren Regisseur und Autor der Folge, Bastian Günther, und laut Tukur durchaus philosophisch unterfüttert. „Je älter ich werde, desto absurder kommt mir alles vor“, die Rollen vermischten sich im Gedächtnis, erklärte er. Und dem 57-Jährigen geht es ebenfalls darum, nicht in eingefahrenen Bahnen zu leben und zu arbeiten. „Der Witz besteht darin, immer Haken zu schlagen.“ Termine —„Schmitke“ läuft noch am 28. Juni, 21 Uhr. —„Und am Ende sind alle allein“, Weltpremiere heute, 20 Uhr, mit Regisseur Kolja Malik und Darstellern, weitere Vorführungen morgen, Donnerstag, Samstag. —„Über den Tag hinaus“ hat ebenfalls heute Premiere, 19 Uhr, mit Regisseur Martin Enlen und Schauspieler Horst Sachtleben, weitere Spieltage: morgen, Donnerstag, Freitag.

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