Kaiserslautern Wieder auf der Höhe der Zeit

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In Kaiserslautern hat eine neue Ballett-Ära begonnen. Mit James Sutherland als Compagniechef hält das zeitgenössische Tanztheater Einzug am Pfälzer Mehrspartenhaus. Das bewies nachdrücklich die Premiere seines ersten Tanzabends als Spartenleiter am Donnerstag auf der Werkstattbühne.

Man hätte es ahnen können: Bereits in der Vorsaison hatte Sutherland als Gast eine „Romeo & Julia“-Deutung vorgelegt, die so völlig anders war als das, was man über lange Jahre in Kaiserslautern sehen konnte. Immerhin noch ein Handlungsballett, machte es seine Choreographie des Klassikers dem Publikum nicht allzu schwer. Dennoch hatte sich überdeutlich der frische Wind am Haus spüren lassen. Nach den klassisch geprägten Jahren mit Eva Reinthaller und Stefano Giannetti knüpft der Schotte Sutherland nun wieder da an, wo einst Olaf Schmidt (verließ 1997 mit Intendant Pavel Fieber das Haus Richtung Karlsruhe) aufhörte: beim zeitgenössischen Tanz. Und auch Sutherlands Erstling, der Ballettabend „Tanz1: Same Time Tomorrow“ ist genau dies – auf der Höhe der Zeit. Ohne Handlung im engeren Sinne, beteiligt er das Publikum an einem Experiment. In zwei Halbzeiten lässt Sutherland einmal fünf Tänzerinnen und danach fünf Tänzer dieselbe Choreographie zu den experimentell-elektronischen Klängen von Brian Eno, Laurie Anderson und des New Yorker Musikkollektivs Bang On A Can tanzen. Es geht also um im Grunde bekannte Geschlechterunterschiede, doch das Ergebnis überrascht in seiner Deutlichkeit. Zwar liegt auf der Hand, dass die Männer athletischer, kraftvoller agieren würden. Und doch beeindruckt eine stellenweise schon bedrohliche körperliche Präsenz, ja Aggressivität, die sie an den Tag legen. Denn inhaltlich geht es Sutherland um die verschiedenen Ebenen, auf denen Menschen miteinander in Beziehung treten. Szenen der Vereinzelung, der Gruppendynamik, des Ausschlusses aus der Gemeinschaft, der Annäherung und der Abstoßung – eben der Aggression – fügen die Tänzer und Tänzerinnen zum fesselnden Gesamtbild zusammen. Aber auch der weibliche Teil der Compagnie punktet, allerdings auf einer anderen Ebene. Geschmeidiger, emphatischer loten sie in emotionale Tiefen. Mag sein, dass das Feintuning der jeweiligen Choreographieteile diesen Eindruck unterstützt, der nun so gar nicht gender-korrekt daher kommt. Aber auch das wäre ja eine Aussage. Wie auch immer, lassen Tänzer wie Tänzerinnen das Vokabular Sutherlands greifbar werden. Unterstrichen wird dies durch die quasi doppelte Ausführung. Diese Formensprache ist geprägt von Körperspannung, einer Akrobatik, die stets am Boden bleibt und den Raum nicht in der Höhe erkundet, sowie ganz eigenen, wiederkehrenden Bewegungsabläufen, etwa wo im Ensemble ein Arm wie nicht zum Körper gehörig geschwenkt wird. Klassische Elemente werden höchstens als Zitat angedeutet, Sutherlands Idiom ist der modernen Ausdruckswelt durchgängig verpflichtet. Die Compagnie setzt diese Sprache, diese Bewegungsabläufe in ihrer Spannung und Verdichtung stringent um. Und das im Solo, zu zweit, zu dritt oder in Ensembleszenen. Die harte Probenarbeit, für die der Schotte bekannt ist, zahlt sich dabei in puncto Präzision und Akkuratesse weiter aus, wobei die Herren den Damen eine Nasenlänge voraus scheinen. Bei der Geschlossenheit der Ensembleleistung einzelne Tänzer hervorzuheben, scheint obsolet. Vielleicht nur soviel, dass das Wiedersehen mit der Julia der Vorsaison, Risa Yamamoto, ob ihrer kompromiss- wie schwerelosen Art des Tanzes Freude gemacht hat. Wobei, wie gesagt, ihre Mittänzer mit ähnlichen Tugenden auffielen. Als sich am Ende beide, Männer und Frauen, durch die Aggregatzustände des Seins gelebt, gelitten, geliebt und gestritten haben und das Publikum nicht selten vor Spannung auf der Stuhlkante saß, nimmt das Ensemble begeisterten Applaus entgegen. Und Sutherland läuft seine Tänzer ab, klatscht sie ab wie beim Fußball, danach entschwindet er. Auch dieses Zeichen des Understatements ein neuer Stil, der sagen will: Die Mannschaft ist der Star. Sympathisch ist dies allemal, obwohl die Zeitenwende am Pfalztheater nun doch eindeutig dem neuen Ballettchef zu danken ist. Experiment gelungen also. Termine 16., 19., 24. November, 16., 29. Dezember, 3., 12., 26. Januar; Karten: 0631/3675-209 und www.pfalztheater.de.

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