Kaiserslautern Wider die Vereinnahmung

Rainald Goetz, der nach Jahren als Wunschkandidat vieler Literaturkritiker jetzt den prestigeträchtigen Georg-Büchner-Preis erhielt, ist zuletzt oft als „Chronist der Gegenwart“ charakterisiert worden. Auch, um seine fortschreitende Kanonisierung zu erleichtern. Als Vertreter der vielgeschmähten Popliteratur wollte man ihn wohl doch nicht in einer Reihe mit den ehrwürdigen Größen der deutschen Literatur sehen, an die der mit 50.000 Euro dotierte Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung bereits ging.

Seine Dankesrede aber beschloss der mittlerweile 61-jährige Schriftsteller, der sich nicht gern loben und einordnen lässt, dann aber doch ganz in der Populärkultur verwurzelt: mit einer gesungenen Textzeile der Wiener Band Wanda: „Wenn jemand fragt, wofür Du stehst, sag für Amore!“ Zuvor hatte auch Laudator Jürgen Kaube, Mitherausgeber der „FAZ“, den Büchnerpreisträger als Gegenwartschronisten bezeichnet. Vor allem aber, da Goetz Sprechakte interessierten, das „Reden, das Meinen und die Interaktion unter Anwesenden“. Exemplarisch zeigt sich dies in Goetz’ jüngstem Werk „Johann Holtrop“, das als Schlüsselroman über Aufstieg und Fall von Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff lesbar ist. Goetz deutet die Figuren hier nicht psychologisch, sondern zeigt ihre teils banalen, teils komplizierten, stets auch hochkomischen Kommunikationsvorgänge auf. Der gebürtige Münchner, der als promovierter Mediziner und Historiker mit dem Psychiatrieroman „Irre“ 1983 die literarische Bühne betrat, arbeitete sich im Laufe seiner Karriere immer an Zeitphänomenen ab. Die Bandbreite reicht von einer intensiven Auseinandersetzung mit der RAF („Kontrolliert“) über das Aufkommen der Techno-Bewegung („Rave“) bis hin zu den jüngeren Notaten über den politsch-journalistischen Betrieb in seiner Wahlheimat Berlin. Es war also davon auszugehen, dass anlässlich der Preisverleihung in Darmstadt auch aktuelle gesellschaftliche Fragen verhandelt würden. Die brisanteste Einlassung erfolgte allerdings bereits zuvor durch den ehemaligen „konkret“-Redakteur Otto Köhler, der seine Rolle als Laudator der vor Goetz mit dem Johann-Heinrich-Merck-Preis ausgezeichneten Journalistin Gabriele Goettle nutzte, um am Beispiel der Pharmaindustrie den Lobbyismus der Konzerne anzuprangern und den Geist Georg Büchners herbeirief, als er seine Rede mit dem Ausruf „Friede den Hütten, Krieg den Konzernen!“ schloss. Das Pikante: Der Preis wird von einem Pharmakonzern gestiftet. So sah sich Gastgeber Heinrich Detering, Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, dazu genötigt, sich von Köhlers Wortwahl zu distanzieren. Goetz selbst wiederum unternahm in seiner Dankesrede den Versuch, der Vereinnahmung durch die Institution „Akademie“, die für ihn gleichbedeutend mit einer Vereinnahmung durch den Staat sei, durch Reflexionen zur Figur des politischen Schriftstellers etwas anderes als offensichtliche Polemik entgegenzusetzen. Seine Kritik an den vorgefertigten Sätzen, die sich öffentlich zu politischen Fragen äußernde Schriftsteller „ernsthaft als eigene Gedanken ausweisen“, konnte durchaus auf das vorher Gesagte bezogen werden. Goetz vertritt die Position, dass das „herrliche Reden“ über politische Aufbrüche und Revolutionen der Jugend gehöre. Es verbiete sich dem durch sein Alter wie seine Institutionalisierung „angekommenen“ Schriftsteller. Man kann das resignativ finden. Wie Goetz aber die Widersprüche, die sich durch das Altern und die etablierte Stellung in seiner Schreibpraxis ergeben, lebendig werden ließ, erhob die Rede selbst zu einem literarischen Glanzstück.

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