Kaiserslautern Tastenmonster erzeugen Gänsehaut

Stimmung auf dem Siedepunkt: Pianist Balázs Daniel, mit dem Lauterer Bluesharp-Matador Albert Koch.
Stimmung auf dem Siedepunkt: Pianist Balázs Daniel, mit dem Lauterer Bluesharp-Matador Albert Koch.

Das „verflixte“ siebte Jahr – in Beziehungskreisen gilt es als besonders kritisch. Die siebte Big Boogie Woogie Night am Donnerstagabend in der Kammgarn mit fünf Virtuosen-Monstern aus Österreich, Ungarn, Spanien und Deutschland hingegen verlief alles andere als kritisch. Noch nie waren bei diesem Ereignis so viele Besucher. Noch nie war die Stimmung so grandios wie unter diesen 400 Zuhörern.

Die geistreich arrangierten, locker und vital gespielten Stücke entgingen der Gefahr der Langeweile durch Modernisierung und viel Humor. Aber auch dadurch, dass jeder der Pianisten seinen eigenen Stil hatte. So stieg das Stimmungs-Thermometer schon beim eröffnenden, zehnhändig gespielten Titel „Baby What You Want Me To Do“ von Jimmy Reed auf 100 Grad Celsius. Verursacht durch den manuellen Funkenflug der fünf Virtuosen, die schon mal gleich für Verblüffung sorgten. Die Eröffnung des Schaulaufens war dem Heidelberger Harald Krüger („Krüger rockt“) vergönnt. Ein Showmann mit Elvis-Figur und -Attitude. Mit seinen Rock’n’Roll-Titeln stürzte er das Publikum schon vom ersten Takt an in ein Wechselbad der Gefühle. Sein direkter, agogisch und dynamisch forcierter Sound bestach in Dramatik, Vorwärtsdrang und facettenreicher Farbigkeit. Genauso ein Hans Dampf in allen Gassen ist Richie Loidl aus dem Salzkammergut. Sein Spektrum war denkbar breit. Das Mainstream-Fahrwasser wurde im „Pinetop Boogie Woogie“ zugunsten einer offeneren Spielweise verlassen. Zerrende Blues-Tremoli, lässig, immer knapp hinter dem Beat hängende Kurz-Phrasen und auch schummrige Gospel-Harmonien waren Grundstock seines Spiels, das er mit verblüffender Leichtigkeit zelebrierte. Vierhändig, im Zusammenspiel mit dem Ungar Balázs Daniel, wurde die alte Königlich-Kaiserliche Donau-Monarchie wiederbelebt: In „Mercedes“ versprühten die beiden durch raffiniert gesetzte Klavierkaskaden und knackig agierende Rhythmen einen enormen Elan. „Mister Firehand“ wird Balázs wegen seines feurigen Stils genannt. In „Roll Over Beethoven“ zeigte er sich als blitzgescheiter Pianist, der sein ausgefeiltes, nuancenreiches Spiel mit einem feinen Hauch von Ironie würzte. Seine hohe Anschlagskultur verband sich gleichzeitig mit harmonisch raffinierter Delikatesse. Und vehement, mit viel Verve gestaltete der 28-Jährige den Boogie. Fast schon grenzwertig in Agogik (die Kunst der Veränderung der Geschwindigkeit) agierte er dabei, und dennoch verspürte man in jeder Phrase die innere Spannung und Emotionalität des Pianisten. Die Finger dehnen und ausschütteln – und schon ging’s weiter. Mit Balázs Daniel und Lluis Coloma flogen zwei Wirbelwinde gleichzeitig über die Tasten. Das Publikum flippte völlig aus, applaudierte auf offener Szene. Der Spanier mit dem Pferdeschwanz kombinierte den Boogie Woogie mit dem besonderen katalanischen Flair. Er kredenzte seine Stücke mit einer entwaffnenden Virtuosität und grinste dabei das Publikum an wie ein Honigkuchenpferd. Sein südländisches Temperament offenbarte sich nicht nur in der klaren und eigenwilligen Sprache seiner Linken, sondern mehr noch in der nuancenreich ziselierenden rechten Hand. Die Vielfalt der Farbgebung und Ausdrucksgestaltung waren verblüffend. Keine hohle Effekthascherei. Eine eindrucksvolle Visitenkarte gab auch Christoph Steinbach aus Kitzbühel ab. Bei Titeln wie „Sweet Georgia Brown“oder „Bluesman“ war er der reinste Geschwindigkeitssportler. Er wucherte dabei aber auch mit atemberaubender Fingerfertigkeit mit viel Ideenreichtum, so dass sein brillantes Feuerwerk zum echten Hörvergnügen wurde. Das Publikum war aus dem Häuschen und applaudierte bei jedem einzelnen Künstler frenetisch, erst Recht, wenn sie vierhändig oder sechshändig spielten. Im zweiten Set spielten Steinbach, Balázs Daniel und Lluis Coloma sogar in fliegendem Wechsel an einem Flügel, oft sogar sechshändig, wobei sich die Finger in virtuoser Art und Weise überkreuzten. Gänsehaut pur war das. Der Saal tobte. Den gelungen Abend perfekt machte die großartige Rhythmusgruppe mit dem Heidelberger Schlagzeuger Walt Bender und dem Lauterer Bassisten Wolfgang Janischowski. Als zweiter Lauterer brachte Bluesharp-Matador Albert Koch mächtig Dampf in den Abend. Großartig Benders sieben-minütiges Drum-Solo mit raffiniertesten Schlagfolgen und komplizierten Tempowechseln. Am Schluss standen alle Zuhörer und klatschten begeistert den Rhythmus der Boogie-Pianisten mit. Zahllose Paare tanzten sogar. Besonders auffällig dabei die schier akrobatisch tanzenden Norma und Hagen aus Frankfurt und das fantastisch agierende Paar aus Siegburg bei Bonn. Bei den beiden Zugaben mischte sogar keck und virtuos eine Besucherin mit: die 24 Jahre alte Alanna Steinriede aus dem Saarland. Das Stimmungsbarometer war auf dem höchsten Anschlag.

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