Kaiserslautern Sieg high!

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Hitler ständig high. Ein Junkie. Der Leibarzt sei ihm wichtiger als seine Leibstandarte gewesen. Der „Blitzkrieg“ basierte auf Methamphetaminen. Die Thesen des Autors Norman Ohler werden wild diskutiert. „Umstürzend“, nennt der Historiker Hans Mommsen, was der in Zweibrücken geborene Berliner in seinem bravourösen Sachbuch „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“ an Fakten und Mutmaßungen ausbreitet. Andere, wie „Die Welt“ polemisieren dagegen an; oder sie sezieren wie der „Spiegel“ vor kurzem skeptisch seine Interpretationen – auf mehreren Seiten wohlgemerkt. Was ist da los?

Norman Ohler, ein hochgeschossener Mann mit intellektuellem Turnlehrergesicht und einer wie von Giacometti modellierten Silhouette, ist ein cooler Typ. Und auch in Fachkreisen ein Großer. Der 1970 geborene Sohn des pensionierten Richters, Zweibrücker Ex-Bürgermeisterkandidaten und Mundartdichters Wolfgang Ohler hat bisher auch schon viel über Drogen geschrieben. Allerdings in Metropolen-Romanen. Zwischendurch war er Stadtschreiber von Ramallah und Jerusalem, arbeitete mit Wim Wenders am Drehbuch eines Films und brütete im Haus von Dennis Hopper in L.A. drei Monate lang über einem letzten Skript des 2010 verstorbenen Hollywoodstars, der als kiffender „Easy Rider“ verewigt ist. Norman Ohlers Debüt „Die Quotenmaschine“, die bedröhnte Geschichte des stummen Detektivs Maxx, spielt und entstand in New York und im Internet, in das der Schriftsteller sein Manuskript vorab stellte, offen für Mitautoren sozusagen. „Mitte“, ein düsteres filmisches, von der Kritik gefeiertes Buch eines Drogendeliriums, hat den Schauplatz Berlin. Und in „Stadt des Goldes“, der Roman-Thriller spielt im gefährlichsten Hochhaus der Welt, Ponte City in Johannisburg, ist das Insider-Rauschmittel GBH Stoff. Ohler selbst, ein harter Clubgänger und Nachtaktivist in einem früheren Leben, wird in einer Homestory der „Süddeutschen Zeitung“ kolportiert, hat anscheinend sogar dem Alkohol abgeschworen und trinkt mit Blick auf die Spree stattdessen Saft aus Roter Beete. Auf das Thema seines Buches über die Drogenkarriere des Führers und den strategischen Einsatz von Pharmaka im Krieg, erzählte er zum Beispiel im „Deutschlandradio“, habe ihn ein befreundeter DJ mit seiner Bemerkung über gedopte Soldaten im Zweiten Weltkrieg gebracht. Erst habe er einen Roman darüber schreiben wollen, unterströmt von historischen Fakten. Dann habe er sich doch umentschieden. Nach Recherchen im Bundesarchiv in Koblenz, im Münchener Institut für Zeitgeschichte und den National Archives, Washington, kam er drauf, dass ein Sachbuch doch die bessere Gattung sei. Vor allem die Aufzeichnungen von Hitlers Leibarzt Theodor Morell, auf die er in den USA stieß, müssen ihn dazu angefixt haben. Ein langes Kapitel in Ohlers Buch ist mit „High Hitler“ überschrieben. Akribisch notierte der Arzt, dem Hitler vertraute, was er tat gegen dessen Blähungen, das Zittern, den manisch schwankenden Gemütszustand, heikle Dinge, die sich unterhalb des Koppelschlosses bewegten – oder vielmehr nicht. „Doktorchen, ich freu mich ja so, wenn sie morgens kommen“, begrüßte ihn der Führer schon mal. Die beiden sahen sich so gut wie täglich. Ohlers Buch ist im Prinzip auch die Kurzbiografie des Promiarztes, der eine Praxis auf dem Kudamm führt und Patienten wie Alfried Krupp, August Thyssen oder Leni Riefenstahl behandelt. Und die Geschichte einer teilweise symbiotischen Beziehung. Von August 1941 bis April 1945 war Morell im Einsatz. Von 885 dieser 1349 Tage existieren Aufzeichnungen. 1100 Mal wurden Medikamente verabreicht, circa 800 Spritzen gegeben, ein wilder Mix, wenn man Ohlers Kürzel-Entschlüsselungen glaubt. Kokain, Morphin, eine dem Heroin verwandte Substanz. Teufelszeug, das Crystal Meth ähnelt, einer Körper und Geist verheerend zerrüttenden Droge, von der weltweit 100 Millionen Menschen abhängen sollen und die auch in der populären Fernsehserie „Breaking Bad“ eine Hauptrolle einnimmt. Führer Hitler muss demnach mehr und mehr so drauf gewesen sein wie ein Bahnhofsjunkie, bevor ihm in den letzten Momenten des Krieges der Stoff ausging. Morell vermerkt so einen szenetypischen „Reißverschluss“ am früher durch Hanteltraining zur Dauersteife befähigten Arm seines Dauerpatienten. Die Narben rühren von unzähligen Einstichen her. Abgedämmt gegen Faktisches, eingebunkert in eine drogeninduzierte Wirklichkeit, berauscht von sich und ständiger Dröhnung, abhängig von einem irregelaufenen Mode-Mediziner der Berliner Schickeria. Der Verdacht liegt nahe, Ohler relativiere dessen Verantwortlichkeit, wenn er den Gröfaz als ins Nirwana medikamentiertes Wrack miniaturisiert. Aber schon im Buch widerspricht der Autor vorauseilend: Auch noch so viele Drogen, die Hitler nahm, um sich in seiner Menschenverachtung instand zu halten, minderten nicht im Geringsten „seine monströse Schuld“. Man kann Einwände haben. Aber Ohlers Anatomie des „toxischen Nationalsozialismus“ gehört, obwohl oder gerade, weil kein Historiker am Werk war, und viele Fakten bekannt sind, zu den spannendsten Geschichtsbüchern der vergangenen Jahre. Vor allem auch, was den Einsatz von Drogen im Krieg betrifft. Im Militärarchiv in Freiburg fand der in Hamburg an der Nannen-Schule ausgebildete Journalist Berichte darüber, wie Soldaten mit Methamphetamin für den Angriff auf Polen am 1. September 1939 gedopt worden sind. Von der wundersamen „Mutpille“ der Deutschen berichtete am 13. September 1940 die italienische Zeitung „Corriere della Sera“. Dem entspricht auch Ohlers Interpretation der Unterlagen, demnach Weckmittel maßgeblich dafür verantwortlich waren, dass der „Blitzkrieg“ gegen Frankreich möglich wurde, weil das massenhaft eingesetzte Metamphetamin Pervitin die bis Sedan durchstürmenden Soldaten ununterbrochen einsatzfähig hielt. „Ladung an Ladung entzündete das Meth in den Hirnen, die Neurotransmitter wurden ausgeklinkt, krachten in die Spalten der Synapsen, platzten auf und ergossen ihre Fracht“, schreibt Ohler dann martialisch. Manchmal geht ihm sprachlich der Gaul durch bei seiner ansonsten im Modus der Ernsthaftigkeit gehaltenen Faktenarbeit. Er hat Dokumente gefunden, die belegen, dass die Militärs über Jahre hin systematische Drogenversuche unternahmen. Geradezu exekutiert wurden sie im KZ-Sachsenhausen, als dessen perfides Markenzeichen ein sogenanntes Schuhläuferkommando gilt. Firmen wie Salamander, Bata oder Leiser schickten dafür ihre neuesten Entwicklungen in das KZ, Ersatzmaterialien für das im Krieg rationierte Leder. Die Häftlinge mussten damit Gewaltmärsche absolvieren, um den Abrieb der Sohlen zu testen; immer wieder entlang einer 700 Meter langen Gehbahn aus Schlacken, Sand, Lehm, Splitt und Kopfsteinpflaster. Jeden Tag kamen dabei etwa 20 Menschen vor Erschöpfung um. Im November 1944 dann mietete die Marine in geheimer Kommandosache das Schuhläuferkommando an. Unter Kokain-Cocktail-Einfluss hatten die KZ-Häftlinge 96 Stunden und länger ohne Unterbrechung hin und her zu laufen, über ihre Grenzen hinaus. Die Aufputschmittel mit den besten Testergebnissen wurden dann im allerletzten Endkampf den von Anfang an verlorenen Kommandanten obskurer Ein-Mann-U-Boote verabreicht. Sie sollten im Alleingang britische Kampfschiffe lahmlegen. Drogen als letzte Hoffnung. Wie es dazu kam, schildert Norman Ohler als Dynamik sich widersprechender Bewegungen. Sein Ausgangspunkt ist Berlin, in den 1920ern die „Experimentierhauptstadt Europas“ im „toxikologischen Taumel“, wie der Kreuzberger Ohler schreibt. Drogen sind rezeptfrei zu haben. Chinesen betreiben Opiumhöhlen. Die Schauspielerin und Tänzerin Anita Berber, von Otto Dix mit einem Gemälde zur Ikone der Weimarer Zeit gemacht, taucht zum Frühstück weiße Rosenblätter in einen Cocktail aus Chloroform und Äther; und lutscht sie. Für den bürgerlichen Rest der Bevölkerung sind immerhin mit Metamphetamin versetzte Pralinen frei erhältlich. Angeblich hängen zu der Zeit 40 Prozent der Berliner Ärzte von Morphin ab. 1926 ist Deutschland Spitzenproduzent des stark wirkenden Betäubungsmittels. Ebenso ist man Exportweltmeister bei Heroin. Die Firmen Merck, Boehringer und Knoll, Ludwigshafen, halten 80 Prozent des Weltmarktes für Kokain. Der Mediziner und Dichter Gottfried Benn will das freigiebig ausgegebene Metamphetamin, mit dem stillende Mütter bedenkenlos ihren Babyblues bekämpfen, systematisch für die „Zerebraloszillationen in höheren Schulen“ einsetzen. Der Stoff gilt in der Weimarer Weltfluchtrepublik offenbar eine zeitlang als Universalmittel; und Ohler schildert, wie die Nazis anfangs gegen die „Verführungsgifte“ ankämpfen, die ihr Allheilmonopol bedrohen. Sie wollten ja selbst wie eine Droge wirken. Ab 1933 wurden Süchtige in geschlossene Anstalten eingewiesen, je nach den „Erbanlagen“ kamen sie auch ins KZ. Es gab Fälle von Euthanasie. Der „jüdische Charakter“, behauptete das rassenpolitische Amt der NSDAP, sei „drogenabhängig“ per se. Ab 1936 instrumentalisierte dazu eine eigene Polizeibehörde den Antidrogenkampf, um einen Spitzelstaat zu etablieren. Jeder Deutsche war aufgefordert, „Beobachtungen über etwa an Rauschgiftsucht leidende Angehörige und Bekannte mitzuteilen, damit sofort Abhilfe geschaffen werden kann“. Der Konsum von Morphin und Kokain sank deutlich. Aber gleichzeitig experimentierten die Nazis selbst verstärkt mit synthetischen Stimulanzien herum. Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin reüssierten die Sportler der USA zum Unwillen der Gastgeber unter Einsatz des Amphetamins Benzedrin. Gleichzeitig stiegen im von den manischen Nazis terrorisierten Staat die Anforderungen an Volk und Führer. Ohler beschreibt eindrücklich, wie das Methamphetaminpräparat Pervitin in alle Lebensbereiche einsickert und auf Litfaßsäulen offen dafür geworben wird. Eine Rückkehr zu den Verhältnissen der Weimarer Republik. Und gleichzeitig deren Überbietung. Von Hitler und dem berühmten Junkie Göring, der 24.000 Tabletten bei sich trägt, als er von den alliierten Truppen verhaftet wird, bis zur Krankenschwester, die sich für den Dienst am Vaterland dopt; das Dritte Reich, so wie Ohler es schildert, scheint tatsächlich im „totalen Rausch“ versunken gewesen zu sein. Ohler führe anschaulich vor, wie „die verordnete Volksgemeinschaft in immer umfassenderem Maße der Droge bedurfte, um zu funktionieren“, schreibt der Historiker Hans Mommsen in seinem Nachwort zu dem Ohlers Buch. Und das stimmt so. Es relativiere sehr stark die von den Nationalsozialisten propagierte idealistische Motivation, die angeblich herrschte. Produzent der Wundertablette ist die Berliner Firma Temmler, die in Wirren des Krieges ihre Pillen kurzzeitig auch in Meisenheim dreht. Erfunden hat das Zeug ein gewisser Fritz Hauschild, der in den 1950ern als Sportphysiologe der Uni Leipzig weiterarbeitet und für seine inoffiziellen Verdienste um das DDR-Dopingprogramm den Nationalpreis der DDR bekommt. Was Ohlers Drittes-Reich-Drogenbuch vor allem auszeichnet, aber auch so kontrovers macht, sind die großen Linien, die er zieht; und gleichzeitig engführt auf den Einfluss des Stoffs auf Hitler, die Weltpolitik und das Alltagsleben. Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll schreibt immer wieder nach Hause, man möge ihn zur Erhaltung seiner Kampffähigkeit mit Pervitin versorgen. Der selbst süchtige Heeresphysiologe Otto Ranke sorgt per „Weckmittelerlass“ vom 17. April 1940 dafür, dass die Droge Teil der Sanitätsausrüstung der Soldaten wird. Heer und Luftwaffe ordern bei den Temmler-Werken 35 Millionen Einheiten Doping-Pillen, mit denen das Fußvolk zu Hunderttausenden auch durchhält, als der Krieg längst verloren ist. Was die Drogen derweil bei Morells „Patient A“ bewirken, der insbesondere nach dem Stauffenberg-Attentat immer willenloser konsumiert, was sein offizieller Dealer hergibt, muss auch Norman Ohler letztlich im Unentschiedenen belassen. Hat sich große Geschichte wegen medizinischer Trivialitäten ereignet? Ist sie von Einzelnen gemacht? Griff Hitler so fatal in den Blitzkrieg ein, weil Drogen ihn von sich selbst berauschten? Ließ er gerade aufgrund einer Umnebelung weiter morden? Oder erhielt ihm das Druff-Sein nur seine Zurechnungsfähigkeit als Menschheitsverbrecher, der er war? An solchen Fragen scheiden sich die Geister, die Ohler ruft. Ansonsten aber ein großartiges Buch. Rauschhaft. Lesezeichen Norman Ohler: „Der totale Rausch. Drogen im Dritten Reich“, 363 Seiten, 19,99 Euro, Kiepenheuer & Witsch

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